Gretchen
getötet hat. Er hat beinahe zwei Tage in diesem Auto verbracht.« Er wollte, dass Henry verstand, was das bedeutete, dass sich alles verändert hatte. »Sie hat ihn zu dem gemacht, was er ist.«
»Du hast Schlimmeres durchgemacht und bringst es fertig, anderen Leuten nicht die Augen herauszuschneiden.«
Archie schüttelte den Kopf. »Ich habe nicht Schlimmeres durchgemacht.« Jeremy hatte gesehen, wie Gretchen seine Schwester folterte. Archie hatte seine eigene Folter überlebt. Aber Jeremy war unschuldig gewesen. Archie hatte es sich selbst zuzuschreiben gehabt. »Es war nur auf eine andere Weise schlimm.«
»Nein«, sagte Henry. »Du bist nicht wie er.«
Jeremy hatte Morde begangen. Archie hatte lediglich seine Ehe, seine Selbstachtung und seinen Job auf dem Gewissen. Alles, ohne einen Schuss abzugeben. Er konnte sich nicht vorstellen, was für ein Gefühl es war, tatsächlich jemandem das Leben zu nehmen, was einen dazu bringen konnte, diese Grenze zu überschreiten.
Er konnte es sich nicht vorstellen. Aber Henry konnte es.
»Alles in Ordnung mit dir?«, fragte Archie.
Ein Lächeln huschte über Henrys Lippen. »Das ist ja ganz neu. Dass du mich das fragst.«
Shark Boy hatte mit der Axt nach Henry geschlagen, als er ins Gebäude gekommen war, und Henry hatte auf ihn geschossen und die Verfolgung aufgenommen. »Er hätte uns getötet«, sagte Archie.
Henry starrte einen Moment ins Leere und runzelte dann die Stirn. »Ich darf bis zur offiziellen Klärung der Sache nur Innendienst machen«, sagte er. »Aber es ist nur eine Formalität.« Er kratzte sich im Nacken. »Sie haben ihn identifiziert. Er hieß Troy Lipton. Siebenundzwanzig. Hat als Hilfskoch in einer Raststätte draußen in Sherwood gearbeitet. Er hat eine Vorstrafe in Idaho. Raub. Körperverletzung.« Henry hustete und stand auf. »Du solltest wieder zu mir nach Hause fahren«, sagte er und gestikulierte in Archies Richtung. »Dich ein wenig ausruhen.«
Archie sah an sich hinab, sein Hemd war voller Blutflecken. »Ich könnte eine Dusche vertragen«, sagte er.
»Ich schicke dir jemanden mit«, sagte Henry. »Gretchen ist immer noch da draußen. Und Jeremy jetzt auch.«
»Einverstanden.«
Henry wandte sich zum Gehen, blieb aber mit dem Rücken zu Archie und mit gesenktem Kopf in der Tür stehen. »Ich habe schon früher getötet«, sagte er.
_ 59 _
Archie stand in Henrys Dusche, er hatte die Augen geschlossen und ließ sich das heiße Wasser über den Rücken laufen. Die Verbände hatten sich im Wasser gelöst und kreisten im Abfluss der Duschwanne. Archie blieb minutenlang so stehen, bis seine Haut brannte und der Dampf so dicht war, dass er kaum noch Luft bekam, dann öffnete er die Augen und trat aus dem Duschstrahl. Er schob den Plastikvorhang ein Stück zur Seite, um frische Luft einzulassen, und untersuchte seine Wunden. Der Taser hatte eine übel aussehende Schwellung an seiner Seite hinterlassen. Sie hatte die Größe eines Handtellers, hart und empfindlich auf Berührung, mit zwei dunkelroten Kreisen, die wie Bissspuren aussahen, dort, wo der elektrische Strom in seinen Körper eingetreten war.
Sein Rücken und die Beine brannten noch von den Haken, aber er blutete nicht mehr. Er hob den Fuß und stellte ihn auf den Rand der Duschwanne, damit er das Dreieck begutachten konnte, das er sich in den Oberschenkel geschnitten hatte. Die Schnitte hatten nicht genäht werden müssen. Er rieb die Finger an einem Stück Seife in der Seifenschale der Dusche und fuhr damit über die Wunden. Dreiecke. Isabel war das einzige Opfer gewesen, in das Gretchen jemals diese Form geschnitten hatte. Merkwürdig, dass ausgerechnet das Jeremys Aufmerksamkeit erregt hatte. Dass er sich selbst so viele Dreiecke eingeritzt hatte. Er hatte die Wunden an ihren anderen Opfern nicht gesehen. Er konnte nicht wissen, dass es etwas Besonderes war.
Archie bürstete einen winzigen Schorf von einem der Schnitte, und er begann sofort zu bluten; das Blut vermischte sich mit dem Wasser, und ein rosafarbenes Rinnsal lief an seinem Oberschenkel hinab und in die Kniekehle.
Dreiecke.
Er ließ sich auf den Boden der Duschwanne sinken und blieb dort sitzen. Das Badezimmer war voller Dampf. Der Spiegel war beschlagen. Archie streckte die Hand aus und stellte das Wasser ab. Die Wunde an seinem Bein war nicht besonders tief, aber sie hatte zu pochen begonnen.
Archie zog sich hoch und stieg aus der Dusche. Er trocknete sich ab und wickelte sich ein Handtuch um die Taille.
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