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Gretchen

Titel: Gretchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chelsea Cain
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ging hinein. Sie wurde allmählich zur Expertin darin, in schmutzige, unbeleuchtete Räume einzudringen, und sie blieb unmittelbar hinter der Tür kurz stehen, damit sich ihre Augen anpassen konnten. Durch ein paar zerbrochene Fenster fiel etwas Licht, und nachdem sich ihre Pupillen geweitet hatten, konnte Susan ziemlich viel erkennen. Verrottende Holzpaletten waren über den Boden verstreut. Was immer hier produziert worden war, man hatte es in diesem Raum in Kisten gelagert und dann auf Lkws verladen, um es an längst tote Kunden zu liefern.
    Sie stand vollkommen reglos und lauschte. Jedes Haar an ihrem Körper stand aufrecht.
    Jemand hustete. Es war Archie. Susan konnte nicht sagen, woher sie es wusste. Aber es war völlig klar für sie. Es war Archies Husten, keine Frage.
    Sie suchte nach dem Ursprung des Geräuschs und machte eine Tür in der gegenüberliegenden Wand aus, die offen stand. Sie eilte darauf zu und versuchte nicht einmal, den gesplitterten Latten auf ihrem Weg auszuweichen.
    Von draußen machte sie das Geräusch einer Sirene aus, das näher kam. Dann schienen plötzlich Tausende Einsatzfahrzeuge gleichzeitig einzutreffen.
    Aber da hatte Susan den Raum schon durchquert.
    Der nächste war größer, die ehemalige Werkshalle. Eine einzelne Lampe hing an einem Verlängerungskabel in der Mitte des Raums von der Decke. Archie war nackt, er kniete auf allen vieren und versuchte gerade aufzustehen. Er blickte auf und sah sie, und sie lief zu ihm, sah die Verbände auf seinem Rücken, die bereits blutgetränkt waren.
    Er unternahm einen neuen Versuch aufzustehen, stützte die Hände auf die Knie und schaffte es, unsicher auf die Beine zu kommen. Seine Oberschenkel waren voller Schnittspuren und bluteten. Er war vollkommen nackt. Aber nicht das schockierte Susan. Was sie schockierte, waren die Narben. Sie hatte die Akten über den Fall gelesen, die Zeitungsausschnitte – sie hatte sogar Das letzte Opfer gelesen. Sie wusste, was Gretchen ihm angetan hatte. Sie wusste von der Milzoperation im Keller. Sie wusste, dass Gretchen ihm Nägel in die Brust getrieben, ihm die Rippen gebrochen, mit einem Schablonenmesser und einem Skalpell an ihm herumgeschnippelt hatte. Sie wusste, dass sie ihm ein Herz in die Brust geschnitzt hatte.
    Aber sie hatte das Ergebnis nie gesehen. Sein Oberkörper war zerfleischt, übersät mit Narbengewebe, das spärlich braune Haar wuchs an vereinzelten Stellen um glatte, neue weiße Haut herum. Es gab keinen Fleck auf seiner Brust, auf dem sie nicht ihre Spuren hinterlassen hatte. Seine größte Narbe, die ihn in der Mitte des Rumpfs in zwei Hälften teilte, war ein knotiges rosa Seil, einer Nabelschnur ähnlich. Aber die, auf die ihr Blick automatisch fiel, bei der sie sich zwingen musste, um nicht darauf zu starren, war die herzförmige Narbe unter seiner linken Schulter. Zwei Jahre alt, und sie sah immer noch frisch aus, als hätte er monatelang daran herumgezupft.
    Sie trat näher an ihn heran, legte sich einen seiner Arme um die Schulter und schlang ihren Arm um seine Mitte, die Sprühdose hielt sie weiter umklammert. Er krümmte sich bei der Berührung, und Susan sah die dunkelblaue Schwellung an seiner Seite, die von dem Taser stammen musste; sie schob ihre Hand ein wenig tiefer. Er schwankte, und sie hatte alle Mühe, ihn aufrecht zu halten. Aber seine Augen waren klar. »Ich habe einen Schuss gehört«, sagte er.
    »Henry ist vor mir hereingekommen«, sagte Susan.
    »Ich habe ihn nicht gesehen.« Archie nickte, als versuchte er, sich alles zusammenzureimen. »Meine Beine funktionieren noch nicht.« Er wandte den Kopf zu Susan. »Können Sie uns hier rausbringen?«
    Draußen knatterte ein Megafon der Polizei los, und Susan hörte jemanden Befehle schreien, aber sie verstand nicht, was gesagt wurde.
    Sie konzentrierte sich auf die Tür. Archie konnte kaum gehen, und es kostete sie alle Kraft, ihn Schritt für Schritt zum Ausgang zu führen. »Werden sie hereinkommen?«, fragte sie.
    »Sie müssen erst das Gebäude ringsum sichern«, sagte Archie. »Feststellen, ob es Geiseln gibt. Sie werden nicht hereinkommen, es sei denn, sie hören einen weiteren Schuss.«
    Links von ihrem Pfad, am Rand der beleuchteten Fläche, stand ein massiver, pockennarbiger Amboss. Es war das einzige Werkzeug, das zurückgelassen worden war, als hätte man beim Auszug beschlossen, er sei zu schwer, um ihn mitzunehmen.
    »Was war das hier mal?«, fragte Susan.
    »Sie haben Äxte gefertigt«, sagte

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