Greystone Saga: Mit Schwert und Feder: 1 (German Edition)
am Abend als Letzter die Waffenhalle verließ. Schnell sperrte sie die Tür des Kräuterhauses zu, von wo sie den Eingang der Waffenhalle beobachtet hatte, und eilte ihm nach. „Ian, warte!“, rief sie durch die Dunkelheit. Er blieb stehen und atemlos kam sie bei ihm an. Sein verschlossener Gesichtsausdruck verunsicherte sie, doch sie wollte sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen und straffte die Schultern. „Ich weiß, das kommt jetzt unerwartet, aber ich … ich wollte dir unbedingt sagen, ich mache dir wegen unserer Nacht keine Vorwürfe.“
Er zog eine Augenbraue hoch. „Es freut mich zu hören, dass du mit meiner Leistung zufrieden warst.“
Joanna war nah daran, ihn zu erwürgen. „ So meinte ich das nicht.“
„Dann ist es besser, wir schweigen darüber, bevor wir uns deswegen streiten.“ Er nickte ihr zu und drehte sich um.
Das konnte nicht sein! Er ließ sie schon wieder stehen. In ihrer Entrüstung sagte sie das Erstbeste, das ihr einfiel: „Bennett war hier.“
Ian fuhr herum. Für den Bruchteil einer Sekunde erkannte sie Hoffnung in seinem Gesicht, dann war jegliche Gefühlsregung wieder hinter einer Maske aus kühler Distanz verschwunden.
„So?“
In einem verzweifelten Versuch, ihn dadurch aus der Reserve zu locken, begann sie zu erzählen: „Bennett kam am letzten Sonntag, während du im Dorf warst. Er begleitet den König auf seinem Feldzug und hatte Jake Briefe zu überbringen. Er wollte dich sehen.“ Sie lächelte zaghaft. „Ich wusste gar nicht, dass ihr euch in Lionsbridge kennengelernt habt. Allerdings hatte er keine Nachrichten von Galad.“
„Und warum erzählst du es mir dann?“
„Ich dachte, es interessiert dich.“ Ihre Stimme war eine Mischung aus Wut und Enttäuschung. „Du hoffst doch auch auf Galads Rückkehr, oder?“ Zögernd berührte sie ihn am Arm. Er zuckte zurück, als hätte sie ihn mit kochendem Wasser übergossen. Sie ließ ihre Hand sinken, wandte sich von ihm ab und lief in Richtung der Burg.
„Joanna! Danke, dass du es mir gesagt hast“, rief er ihr nach. Sein Tonfall klang eine Spur freundlicher als vorher.
Sie nickte nur, denn sie musste dringend nachdenken. Ian wusste nun, sie hasste ihn wegen der gemeinsamen Nacht nicht. Er würde sicherlich bald zu dem Schluss kommen, dass sein abweisendes Verhalten unnötig war. Und noch in anderer Hinsicht war das Gespräch aufschlussreich gewesen. Für einen kurzen Moment hatte sie seine wahren Gefühle gesehen, und das machte sie zuversichtlich. Sie müsste nur mehr Zeit mit ihm haben. Ungestört, am besten außerhalb der Burg. In einer netten Umgebung, fernab ihres Alltages, damit er merkte, dass ihre alte Freundschaft immer noch Bestand hatte. Ihr kam eine Idee, wohlgemerkt eine sehr verwegene Idee, aber sie war grundsätzlich nicht schlecht. Vor ein paar Tagen hatte sie die Dienstmädchen über das Ereignis reden hören. Sie war hin und hergerissen, ob sie es tun sollte. Schließlich beschloss sie, es einfach zu wagen!
Am Tag darauf fing Joanna ihn nach dem Unterricht ab. „Ian?“, sprach sie ihn freundlich an. „Ich habe gehört, die Gaukler sind im Dorf und geben morgen Abend eine Vorstellung mit anschließendem Tanz. Hättest du Lust, mit mir dorthin zu gehen?“ Aufgeregt wartete sie auf seine Antwort.
„Ja, morgen Abend hätte ich Zeit.“
„Letztes Mal warst du begeisterter, als es um das Dorffest ging.“
„Da war ich noch jung und unwissend.“
„Und auch witziger.“ Joanna verzog das Gesicht. „Aber es ist in Ordnung. Das letzte Mal habe ich abgesagt, da kann ich es dir nicht verübeln, wenn du jetzt keine Lust verspürst.“
„Joanna, du hast recht. Lass uns hingehen. Ich spreche mit Miles, dass er uns hinfährt.“
Am nächsten Morgen teilte Ian ihr mit, der Kutscher würde sie nach dem Abendessen ins Dorf fahren. Joanna freute sich, ihr Plan lief gut an. Als sie jedoch bei Sonnenuntergang gutgelaunt vor das Burgtor trat, glaubte sie, ihren Augen nicht zu trauen: Außer Ian standen dort mindestens noch zehn andere Studenten und Studentinnen und waren im Begriff, in einen großen Wagen einzusteigen.
Ian erblickte sie und kam zu ihr. „Der Auftritt der Gaukler scheint sich rumgesprochen zu haben. Aber es wird bestimmt trotzdem ein schöner Abend für uns.“
Dass der Abend schön würde, bezweifelte Joanna jetzt schon. Ihr geplantes Gespräch konnte sie unter diesen Umständen vergessen. Das uns traf sowieso nicht mehr zu. Bereits während der Hinfahrt saß Ian
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