Greystone Saga: Mit Schwert und Feder: 1 (German Edition)
und prompt reagiert. Das war überhaupt das Problem an diesem Kampf. Was Kraft und Ausdauer anbelangte, schätzte Ian sich ebenso stark ein wie Jake, vor allem, seit er wieder genug zu essen bekam. Doch noch nie hatte er gegen jemanden gefochten, der so berechnend vorging wie der Earl. Mit kühler Gelassenheit beobachtete ihn Jake, erkannte jeden noch so kleinen Fehler und nutzte diesen umgehend zu seinem Vorteil. Ian schnaubte. Er hatte nicht ein Jahr lang im Tagelöhnerhaus überlebt, um sich jetzt von Jake vorführen zu lassen. Wenn der Earl so begierig auf einen echten Kampf war, dann würde er ihn bekommen!
Überrascht verfolgte Joanna die spektakuläre Wendung, die der Zweikampf plötzlich nahm. Es schien, als wäre Ian aus einer Art Schlaf aufgewacht. Von der Behäbigkeit seiner bisherigen Paraden oder seines Schwertkampfes vorgestern mit Adamo war nichts mehr zu spüren. Sein Kampfstil hatte sich vollkommen gewandelt. Seine Bewegungen wirkten nun geschmeidig und routiniert, das Tempo war rasant geworden. Trickreich und kraftvoll wehrte er jetzt Jakes Schläge ab und führte seinerseits unerwartete Angriffe durch. Schritt für Schritt wich ihr Bruder unter Ians Hieben zurück, was ihm sichtlich missfiel.
„Ob das Jake raffiniert genug ist?“ Galad beugte sich zu ihr und grinste. „Der Kampf dauert länger als ich erwartet hatte. Und das mit einem Kehrgerät.“ Sein Grinsen wurde breiter. „Ich möchte nicht wissen, was Ian mit einem guten Schwert anstellen kann, wenn er will.“
Joanna nagte an ihrer Unterlippe. Der Schlagabtausch zwischen den beiden Männern hatte längst den Rahmen eines Übungskampfes verlassen. Weder ihr Bruder noch Ian hielten sich in irgendeiner Form zurück. Hatte Jake zu Beginn die Auseinandersetzung beherrscht, war es nun ein absolut gleichberechtigter Kampf geworden, dessen Ausgang vollkommen ungewiss war. Besorgt blickte sie Galad an. „Sollten wir das Ganze nicht beenden?“
Doch Galad schüttelte den Kopf. „Nein. Endlich hat Jake einen ebenbürtigen Gegner gefunden. Außerdem wollten wir doch herausfinden, was Ian wirklich kann.“
Joanna wendete ihre Aufmerksamkeit wieder den beiden Kämpfern zu. Ehrlicherweise musste sie zugeben, dass sie sich zwei Tage vorher bei Galads Erklärung des Bauernprügels keine Vorstellung von dieser Waffe hatte machen können. Jetzt verstand sie die Gefährlichkeit dieses harmlos erscheinenden Holzstabs, vor allem in den Händen eines geübten Kämpfers wie Ian. Jake vollführte gerade einen Angriffsschlag gegen Ian, doch dieser schwang den Besen wie eine liegende Acht vor sich, um Jake nicht näher heranzulassen. Joanna konnte fast nicht mehr zusehen und ihre Finger krallten sich in den Stoff ihres Kleides. Sie hatte entsetzliche Angst, einer der beiden könnte ernsthaft verletzt werden. In diesem Moment ertönte ein Krachen. Der Besen zerbrach in zwei Hälften, als Ian einen Hieb von oben abfing. Ihr Bruder reagierte geistesgegenwärtig, sodass sein Schwert Ian nicht traf. Erleichtert atmete Joanna aus, dann lief sie auf die beiden zu, gefolgt von Galad. Als sie bei ihnen ankam, war sie erstaunt. Statt der üblichen freundschaftlichen Worte und Gesten nach einem Kampf herrschte Schweigen zwischen den zwei Männern. Ian wirkte beunruhigt, als bereue er, dass er sich zu diesem Duell hatte hinreißen lassen. Jakes Blick dagegen war kalt. Er zeigte Respekt vor der Leistung seines Gegners, aber auch … Joanna stutzte: Argwohn und Vorsicht.
Ihr Bruder fand zuerst die Worte wieder. „Es scheint, als müsste Adamo dein Fechttraining ein bisschen verändern, Ian. Ich werde es ihm morgen früh sagen.“
„Das ist nicht nötig. Ich habe alles gesehen.“ Adamo trat aus dem Halleneingang hervor und ging auf sie zu. „Eindrucksvolle Leistung, Ian. Du bist bei Weitem besser als dein Bruder Ronen.“ Anerkennend klopfte er Ian auf die Schulter, der sichtlich erfreut war. „Außerdem“, wandte sich der Fechtmeister nun an Jake, „solltest du öfters mit Ian trainieren. Du hattest schon lang keinen Gegner mehr im Haus, der dich ernsthaft ins Schwitzen bringt. Nutze die Gelegenheit!“
Jakes Gesicht verfinsterte sich. Ruckartig steckte er sein Schwert in den Waffengürtel zurück und verließ wortlos die Halle. Bestürzt sah Joanna ihrem Bruder nach.
„Mach dir keine Gedanken um ihn“, sagte Galad. „Er beruhigt sich schon wieder.“ Dann sah er Ian an. „Du warst großartig. Vielleicht sollte ich es auch einmal mit einem Besen
Weitere Kostenlose Bücher