Greystone Saga: Mit Schwert und Feder: 1 (German Edition)
versuchen?“
Ian, der immer noch die beiden Bruchstücke in den Händen hielt, lächelte. Doch innerlich war ihm nicht nach Lachen zumute. Der Verlauf dieses Kampfes heute Abend war kein Zufall gewesen. Jake hatte ihn testen wollen – und das Ergebnis hatte dem Earl of Greystone offensichtlich überhaupt nicht gefallen.
Der gestrige Abend blieb während des Frühstücks unerwähnt. Deshalb überraschte es Ian, als Joanna am Morgen in der Waffenhalle erschien. Adamo begrüßte sie schmunzelnd. „Willst du nachsehen, dass ich Ian nichts antue, dafür dass er zwei Wochen lang so getan hat, als ob er noch nie eine Waffe in den Händen gehalten hätte?“
„Ich bin schon neugierig, wie sich das Training heute gestaltet. Und natürlich wäre ich froh, wenn Ian es möglichst unbeschadet übersteht.“
Der alte Fechtmeister lächelte. „Das hängt davon ab, ob er jetzt mit der Wahrheit herausrückt.“ Adamo blickte Ian an. „Du würdest damit dir, mir und Jake eine Menge Zeit ersparen, Junge.“
„Also gut“, willigte Ian ein. „Dass ich in meinem Dorf den Umgang mit dem Bauernprügel gelernt habe, kann ich wohl kaum mehr leugnen. Außerdem hat mir Berrin, unser Burgschmied, viel über die Herstellung und Handhabung von Waffen beigebracht. Und George hat mit mir trainiert, ein ehemaliger Söldner im Heer des Königs, der seit einer Beinverletzung auf unserer Burg als Wachmann arbeitet. Bald baten mich meine Freunde aus dem Dorf, ihnen zu zeigen, was ich bei den beiden Männern gelernt hatte. Wir trafen uns heimlich und übten mit allem, was uns zur Verfügung stand: Schwerter, Degen und Piken, die Berrin uns auslieh, sowie Messer, Bauernprügel und bloße Fäuste. Später kamen noch alle ehrenhaften und weniger ehrenhaften Tricks der Tagelöhner dazu.“ Ians Gesicht verdüsterte sich. „Ja, ich kann kämpfen“, schloss er, „aber mein Können ist wertlos, da es nicht der klassischen Technik entspricht, die an den Adelsschulen gelehrt wird. Das habe ich jedes Mal deutlich gemerkt, wenn ich mit Ronen gefochten habe – deshalb meine Verstellung. Ich will mir diesen schrecklichen Kampfstil, wenn man es überhaupt so nennen kann, abgewöhnen.“
„Auf keinen Fall!“, rief Adamo. „Es war das Beste, was dir passieren konnte, dass dieser Wachmann dich trainiert hat. Er weiß, wie heutzutage auf den Schlachtfeldern gekämpft wird.“ Beschwörend sah er Ian an. „Die Zeiten, in denen Ritter ehrenvoll gegeneinander angetreten sind, sind längst vorbei. Söldner wie George sind an ihre Stelle getreten, die für Bezahlung kämpfen, nicht für Ruhm. Aber diese Erkenntnis hat sich in den Adelsschulen noch nicht durchgesetzt. Die Fechtmeister dort lehren dieselbe Kampftechnik wie seit hunderten von Jahren, als hätte sich nichts verändert. Dass zunehmend Piketiere und Feuerwaffen eingesetzt werden, gegen die ein traditionell ausgebildetes Ritterheer nichts mehr ausrichten kann, wollen sie nicht wahrhaben. Der Adel muss neu kämpfen lernen: offen im Denken, vertraut mit jeder Art von Waffe – sonst kämpft er bald gar nicht mehr.“ Adamo seufzte. „Jake und ich versuchen seit Jahren, das unseren Studierenden zu vermitteln. Doch unsere Erfolge sind begrenzt, die jungen Männer hängen an dem, was ihnen in den Adelsschulen gelehrt wurde.“ Er lächelte wehmütig. „Und wenn ich ehrlich bin, im Grunde meines Herzens ergeht es mir genauso. Wie dem auch sei“, er reichte Ian ein Schwert, „zeig mir, was du kannst.“
Der Fechtmeister und Ian gingen in die Mitte der Halle und Joanna nahm auf der Tribüne Platz. Zu Beginn des Trainings beobachtete sie Ian. Selbst für sie war gut zu erkennen, dass sich seine Art des Schwertkampfes deutlich von der Adamos unterschied. Aber entgegen Ians Befürchtung wirkte es nicht plump oder lächerlich, im Gegenteil. Seine Bewegungen waren gewandt, seine Taktik vorwitzig und unberechenbar und vor allem merkte man ihm an, dass sein eigener Stil ihm weitaus mehr Spaß bereitete als die klassische Technik. Für Joanna war es spannend, ihm zuzuschauen. Doch dann blieb ihr Blick am Fechtmeister hängen. Adamo hatte große Schwierigkeiten, Ians gesteigertem Tempo zu folgen und dessen Angriffe zu kontern. Oft brach er die Übungsfolgen ab und setzte sie erst nach einer kurzen Pause wieder fort. Nachdenklich runzelte Joanna die Stirn.
„Du siehst unglücklich aus, was ist los?“ Das Training war beendet und Ian kam aus dem Umkleideraum zurück.
Joanna sah sich nach Adamo
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