Greystone Saga: Mit Schwert und Feder: 1 (German Edition)
lauschte sie wieder den Worten des Earls. Doch es fiel ihr schwer, seinen langatmigen Ausführungen zu folgen. Immer wieder tauchte in ihrem Kopf ein Bild auf: Sie und Ian saßen im Dorf und sahen vergnügt den Gauklern zu.
Am liebsten wäre Joanna aufgestanden und gegangen. Stattdessen stand sie auf und folgte Lord Saldham zur Tanzfläche. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie Ian und Elaine sich neben ihnen aufstellten. Die fröhlichen Klänge einer Gaillarde ertönten und Joanna reichte dem Earl ihre Hand. Normalerweise liebte sie diesen schwungvollen Tanz, doch schon nach wenigen Schritten begann der Earl zu schwitzen und zu schnaufen. Joanna war froh, als das Lied endete und die Musiker einen Reigen anstimmten, denn dieser bedeutete einen Tanzpartnerwechsel – bis ihr bewusst wurde, dass sie das unweigerlich mit Ian zusammen bringen würde.
„So sieht es also aus, wenn du die ganze Zeit durcharbeitest?“ Ians Stimme klang frostig. „Du hättest mir einfach sagen können, dass du schon eine Verabredung hast.“
„Ich hatte sie vergessen.“ Joanna hoffte inständig, dass er ihr glaubte.
„Du hast ein Bankett mit deinem Verlobten vergessen? Kann ich mit nur schwer vorstellen.“
Er glaubte ihr nicht. „Es ist aber so. Ich würde lieber die ganze Nacht arbeiten, als nochmals mit Lord Saldham zu tanzen.“ Ian musste doch sehen, wie unangenehm ihr der Earl war. „Und außerdem ist er nicht mein Verlobter.“
Doch er ging auf den letzten Satz überhaupt nicht ein. „Du arbeitest also lieber, als mit Lord Saldham zu tanzen oder mit mir zum Dorffest zu gehen?“
Joanna stöhnte verärgert. Ian verdrehte ihr die Worte im Mund. „Du amüsierst dich doch, oder etwa nicht?“ Sie machte eine Handbewegung in Elaines Richtung, die gerade das zweifelhafte Vergnügen hatte, mit Saldham tanzen zu müssen.
„Ja, Elaine hat wenigstens Zeit für ihre Freunde.“ Grimmig schaute Ian sie an.
Joanna war nicht entgangen, dass Ian das Wort ‚Freunde‘ betont hatte und wurde wütend. „Tut mir Leid, wenn ich dir nicht jeden Abend beim Fechttraining bewundernd zuschauen und Beifall klatschen kann.“ Das war gemein, aber Ian hatte es verdient, wenn er sie absichtlich falsch verstand.
Auch sein Tonfall wurde schärfer. „Darum geht es doch gar nicht. Du hast mich absichtlich belogen. Ich hätte die Wahrheit schon verkraftet.“ Böse funkelte er sie an.
„Ich habe nicht gelogen, versteh es doch endlich!“ Sie musste an sich halten, um ihn nicht anzuschreien.
„Natürlich“, erwiderte er eisig. „Letzten Sonntag hast du mir versichert, ich sei dein Freund, dann sprichst du eine Woche lang nicht mit mir und gestern hast du mich mehr oder weniger aus dem Kräuterhaus rausgeworfen. Entschuldige, dass ich dir mit meiner mangelnden Bildung da nicht folgen kann.“
Joanna starrte ihn zornig an. „Dann glaube eben weiterhin, dass ich dich belogen habe. Ich habe ausschließlich zu deinem Besten gehandelt, auch wenn du es jetzt noch nicht verstehst. Immerhin hast du sofort wunderbaren Ersatz für mich gefunden.“
Sein Tonfall wurde sarkastisch. „Da bin ich ja froh, dass die allwissende Lady Joanna auf mich aufpasst. Sie muss ihre Handlungen nicht erklären.“
Zum Glück für Ian endete die Musik, denn Joanna hätte ihm am liebsten auf den Fuß getreten. Was bildete er sich ein? Schlecht gelaunt ging sie zu Lord Saldham zurück, der ihr Stimmungstief jedoch nicht bemerkte. Den Rest des Abends ignorierte sie Ian so gut es ging.
Joanna erwachte und fühlte sich elend. Der gestrige Abend war ein einziges Desaster gewesen. Sie war immer noch wütend auf Ian, weil er ihr eine Lüge unterstellt hatte, und das enttäuschte sie sehr. Eine leise Stimme in ihrem Kopf sagte, dass die Dinge sich aus seiner Sicht wirklich so darstellten, doch Joanna überging diesen Einwand. Schließlich hatte sie jetzt genau das, was sie gewollt hatte: keinen Kontakt mehr zu ihm.
Tatsächlich schauten sie sich in den nächsten Tagen überhaupt nicht mehr an, wenn sie sich trafen. Statt wie in der vergangenen Woche nach ihr Ausschau zu halten, saß Ian jetzt oft mit ihren Studentinnen zusammen am Tisch und amüsierte sich dort bestens. Den jungen Frauen gefiel seine Anwesenheit ebenfalls. In den Unterrichtsstunden schwärmten sie so ausgiebig von ihm, dass Joanna sie mehrmals zur Ordnung rufen musste. Selbstverständlich interessierte sie es nicht, was sie über ihn sagten, trotzdem schnappte sie das ein oder andere ganz
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