Greystone Saga: Mit Schwert und Feder: 1 (German Edition)
„Du hast Angst vor Pferden, Ian.“ Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. „Was ist passiert?“
Gebannt hielt Joanna den Atem an, als Ian leise, aber fließend antwortete: „Als Kind sollte ich das Gatter unserer Pferdekoppel öffnen. Während ich das tat, erschreckten sich die Tiere und rannten wild auf das offene Tor zu. Ich wollte beiseite springen, stolperte und fiel hin – die Pferde galoppierten über mich hinweg. Zum Glück erhielt ich nur wenige Tritte.“
Philipp sah ihn ernst an. „Pferde trampeln niemanden absichtlich tot, trotzdem hättest du gefährlich verletzt werden können. Bist du seitdem wieder geritten?“
Ian lachte bitter. „Ich habe niemals reiten gelernt. Und um Pferde habe ich seitdem einen weiten Bogen gemacht.“
„Das sind gleich zwei Probleme.“ Philipp runzelte die Stirn. „Du wirst hier nicht ums Reiten herumkommen. Wie hattest du dir das gedacht?“
Ian riss ein paar Grashalme ab. „Bis heute hat sich diese Frage ja nicht gestellt.“
Joanna hatte bisher schweigend zugehört. „Ich werde Jake bitten, dich vorerst vom Reitunterricht zu befreien.“
„Ich brauche keine Sonderbehandlung.“ Mürrisch warf er die Halme zurück auf den Boden.
„Hört, hört, hier spricht der Mann, der erfolgreich Nachhilfeunterricht im Schwertkampf erteilt“, entgegnete Philipp trocken.
Ian, der erkannte, wie kindisch seine Bemerkung geklungen haben musste, fügte schnell hinzu: „Es bringt nichts, wenn ich das Reiten lernen verschiebe. Es muss einfach irgendwie klappen.“ Er seufzte. „Ich plane schon ein, deswegen in die Nachprüfung zu kommen.“
Philipp schüttelte den Kopf. „Aber selbst für die Nachprüfung musst du auf einem Pferd sitzen – so wie das eben aussah, wird es schwer genug werden, dich nur in ihre Nähe zu bekommen. Ich finde, Lady Joanna hat recht. Du wirst vom Gruppenunterricht freigestellt, und während dieser Zeit gebe ich dir Einzelreitstunden.“ Als er Ians verwirrten Blick bemerkte, erklärte er: „Meine Familie züchtet Pferde, und ich konnte reiten, bevor ich laufen lernte. Der Reitunterricht ist für mich ungefähr genauso spannend wie das Kampftraining für dich. Außerdem revanchiere ich mich gerne für deinen Fechtunterricht.“ Er blickte zu Joanna. „Richtet dem Earl auch aus, dass Ian die Ferien im Herbst mit zu mir nach Hause kommt. Wir können dann täglich üben und sollten es bis zur Zwischenprüfung hinbekommen.“
In einen Anflug von Galgenhumor grinste Ian. „Das Angebot nehme ich gerne an. Auch wenn mir allein bei dem Gedanken, auf einem Pferd zu sitzen, schon schlecht wird.“
Joanna atmete erleichtert aus. „Lasst uns zurückgehen.“ Sie war froh, dass Philipp hier war. Sie hätte nicht die Nerven gehabt, vernünftig mit Ian zu reden oder gar einen solch guten Lösungsvorschlag zu finden. Zu tief saß der Schock, er könnte nach all der Arbeit doch an der Zwischenprüfung scheitern. Warum hatte er es ihr nicht gesagt? Wahrscheinlich aus dem gleichen Grund, aus dem er anfangs nicht gesprochen und später nicht richtig gekämpft hatte: er schämte sich für seine Vergangenheit. Sie konnte ihm keinen Vorwurf machen, aber sie wollte Ian auch nie wieder so hilflos sehen wie eben – das war schwer zu ertragen gewesen. Unauffällig nahm sie seine Hand und ließ sie erst los, als sie fast beim Gatter waren. Mit der Entschuldigung, er fühle sich nicht gut, ging Ian zur Burg zurück. Doch spätestens morgen Abend würden alle wissen, dass er Angst vor Pferden hatte. Joanna hoffte inständig, der Spott würde sich in Grenzen halten.
Nach dem Abendessen suchte Joanna Jake in der Bibliothek auf. Galad war bei ihm und erhob sich, um sie alleine zu lassen. Sie bedeutete ihm jedoch zu bleiben.
„Was gibt es, Joanna?“, fragte Jake freundlich.
„Es geht um Ian. Ich habe ihn heute Morgen bei den Pferden beobachtet und -“
Jakes Lächeln verschwand. „Sag mir jetzt nicht, er soll der neue Rittmeister werden!“
Joanna sah ihren Bruder verständnislos an, während Galad seinem Freund einen bösen Blick zuwarf.
„Entschuldige, Joanna. Vergiss, was ich gesagt habe. Sprich bitte weiter.“
Sie schilderte den beiden Männern die Ereignisse des Morgens und auf Jakes Stirn bildeten sich tiefe Furchen. „Ian macht es uns nicht leicht. Ich hätte Lust, ihn geradewegs nach Hause zu schicken.“
Für den Bruchteil einer Sekunde wusste Joanna nicht, ob Jake nur scherzte. Zu ihrer Erleichterung stimmte er aber Philipps
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