Greywalker
hier und mich eine Zeit lang in irgendetwas stürzen, das mir vertraut war und womit ich mich wohl fühlte – je länger, desto besser. Allerdings bezweifelte ich inzwischen, dass ich mich dem Grau sehr lange würde entziehen können.
Als ich die Lagerhalle von Ingstrom erreichte, hatte die Versteigerung bereits begonnen. Michael lächelte und winkte mir zu, während er die jeweiligen Kaufinteressenten in eine Liste eintrug. Wills Stimme erklang über Lautsprecher. Endlich atmete ich wieder normalen Staub und Schmutz ein – sofort fühlte ich mich besser. Ich ging in die Halle, aus der Wills Stimme kam.
Die Bieter fuchtelten mit ihren Kärtchen in der Luft herum, während Will sie professionell anstachelte. Er wusste, wie man die Leute dazu brachte, am Ball zu bleiben. Nach wenigen Minuten hatte er mehrere hölzerne Aktenschränke für einige Hundert Dollar versteigert. Es war noch recht früh, doch die Menge war bereits im Auktionsfieber.
Die Leute bildeten die übliche Mischung aus Ladenbesitzern und Auktionssüchtigen. Allerdings gab es auch eine Handvoll ausdruckslos wirkender Männer und Frauen, die in einer kleinen Gruppe bedrückt und völlig passiv an der hinteren Wand lehnten. Vermutlich handelte es sich um die ehemaligen Mitarbeiter der Firma, die gekommen waren, um mitzuerleben, wie sich die Aasgeier um die letzten Knochen ihrer ehemaligen Existenz stritten. Keiner beachtete sie.
Ein Karton voll gläsernem Tand entfachte einen wilden Kampf, bei dem schließlich eine schlanke blonde Frau und ein recht beleibter Mann übrig blieben, um es zwischen sich auszufechten. Ich konnte mich nicht an ihre Namen erinnern, obwohl ich sie von anderen Auktionen her kannte. Beide waren Antiquitätenhändler und Geschäftsrivalen. Die Frau war bei ihren Kollegen wegen ihrer schnippischen Art recht unbeliebt, und ich verdächtigte den Mann, dass er manchmal nur bot, um den Preis für sie in die Höhe zu treiben. Er machte nicht den Eindruck, als würde er sich ernsthaft für Glas interessieren.
Die mittlerweile astronomisch hohe Summe ließ sogar die Blondine innehalten, aber Will wollte sie noch zehn Dollar höher treiben. Die beiden Rivalen sahen sich um. Der Mann schnitt eine Grimasse.
Will beugte sich zum Mikrofon und schaute in die Menge. »Es handelt sich um Tischprismen in einem einzigartigen Zustand, meine Damen und Herren. Absolute Liebhaber-Objekte auf dem heutigen Markt«, erklärte er, und ließ seinen Blick auf der Frau ruhen. »Es ist Ihre letzte Chance, meine Damen und Herren.«
Die Frau biss sich auf die Lippen, und ihr Kärtchen schnellte in die Höhe. Im selben Augenblick ließ Will den Hammer mit rasender Geschwindigkeit auf sein Pult sausen, obwohl sowieso niemand Mitleid mit der Frau hatte und ein letztes Gebot versuchte. Ein Raunen ging durch die Menge und Will wandte sich dem nächsten Objekt zu. Das Gesicht der Frau verfinsterte sich für einen Moment; offensichtlich dämmerte es ihr nun, dass man sie zum Narren gehalten hatte. Dann drehte sie sich um und ging zur Tür.
Ungefähr ein gutes Dutzend Posten später verkündete Will, dass man nun eine Dreiviertel Stunde Mittagspause machen würde. Ich folgte ihm in den hinteren Teil des Lagerhauses, wo ich an der Registriertheke stehen blieb. Hier stand eine wahre Traube von Interessenten herum.
Er sah mich an und strahlte. »Hü Schön, dich wieder zu sehen.« Gleich darauf legte den Arm um eine erschöpft wirkende Frau Mitte sechzig und führte sie zu mir. »Darf ich vorstellen? Das ist Ann Ingstrom, die ältere Mrs Ingstrom. Mrs Ingstrom, das ist Ms Blaine, die Privatdetektivin, von der ich Ihnen heute Morgen erzählt habe.«
Sie trug ein edles dunkelblaues Wollkostüm, das an ihr hing, als ob sie über Nacht 20 Pfund verloren hätte. Mrs Ingstrom musterte mich aus wässrigen Augen, sagte aber nichts. Ich streckte ihr die Hand entgegen und sie gab mir die ihre mit einer steifen, ruckartigen Bewegung. Ihre Haut fühlte sich an wie feines Sandpapier.
»Ich freue mich, Sie kennen zu lernen, Mrs Ingstrom. Ich würde Ihnen gerne einige Fragen stellen. Wäre es Ihnen recht, wenn ich Sie zum Mittagessen einlade? Dann könnten wir ungestört miteinander reden.«
Sie antwortete mit sanfter Stimme. »Oh. Ja. Das wäre nett. Sehr gut. Nicht weit von hier gibt es einen … einen Sandwich-Laden.«
Ich sah Will fragend an. Er schüttelte den Kopf. »Da wird es sehr voll sein – die ganzen Leute von der Auktion, wissen Sie. Warum geht ihr nicht zu
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