Greywalker
brachte.
Ich saß zufrieden an meinem Schreibtisch und sah auf die Uhr. Es blieb mir noch genug Zeit, um meine Notizen abzutippen und dann nach Hause zu fahren und zu duschen. Also stürzte ich mich auf meine Aufzeichnungen, während Chaos auf meinen Schoß kletterte. Als ich mit der Eingabe in den Computer fertig war, ließ er sich verschlafen wie er war, problemlos wieder in meiner Tasche verstauen.
Zu Hause schlief Chaos einfach weiter. Die fünf Stunden Herumtoben und Erkunden hatten ihn anscheinend ziemlich mitgenommen.
Eine Stunde später klingelte das Telefon. Ich stürzte aus der Dusche. Der Anrufbeantworter schaltete sich bereits ein, als ich den Hörer abnahm.
»Hallo! Ich bin da!«, rief ich und drückte auf den Knopf, um die Maschine auszustellen. »Hallo.«
»Hi. Ich bin es … Will.«
»Hi, Will.«
»Hallo … Du möchtest also Essen gehen?«
»Ja, gern. Wie sieht es bei dir aus?«
»Sehr gut. Wir schließen hier gerade. Soll ich dich abholen, oder wollen wir uns irgendwo treffen?«
»Es wäre einfacher, wenn wir uns treffen. Ich bin noch nicht so weit. Wo und wann?«
Wir einigten uns auf Dan’s Beach House um neunzehn Uhr. Ich war noch nie dort gewesen. Während der Prohibition in den zwanziger Jahren war das Haus auf den Klippen als Treffpunkt der Schmuggler berüchtigt gewesen. Die Schieferklippen boten einen guten Blick über die Meeresenge – einschließlich der Küstenwache von Elliot Bay –, während das Watt einen Überraschungsangriff der Polizei deutlich erschwerte. Jedes Jahr fanden einige unvorsichtige Skipper noch immer ihr Ende an dieser Stelle.
Ich grinste das Telefon an und verschwand im Schlafzimmer, um mich abzutrocknen und anzuziehen. Es dauerte ein Weilchen, bis ich mich entschieden hatte, was ich tragen würde. Schließlich beschloss ich, den Abend nicht zu bedeutungsvoll anzugehen. Also holte ich eine schöne Jacke hervor, die ich über einen Baumwollpullover zog. Außerdem wählte ich eine Jeans und Turnschuhe statt meiner üblichen Stiefel. Ich sah gut aus. Selbst die blauen Flecken waren nicht mehr so deutlich zu sehen. Vorsichtshalber steckte ich allerdings meine Pistole ein, ehe ich die Wohnung verließ. Das war zwar nicht sehr romantisch, aber ich wollte kein unnötiges Risiko eingehen.
Will hatte mir den Weg zum Restaurant so genau beschrieben, dass ich zehn Minuten zu früh dort ankam. Ich entdeckte seinen Transporter auf dem Parkplatz. Will stieg gerade aus. Er hatte mich auch gesehen und wartete auf mich. Seine Haare und seine Klamotten waren vom Regen schon ganz feucht. Ich parkte wenige Autos von ihm entfernt, stieg aus und ging auf ihn zu. Er nahm mich an der Hand und gemeinsam rannten wir zum Eingang des Restaurants.
Als wir im Trockenen standen, meinte er: »Ich hoffe, du magst Fisch.«
Mir blieb keine Zeit, ihm zu antworten, denn ein übereifriger Kellner geleitete uns bereits in eine kleine Nische in einer Ecke des Lokals. Es war etwas intimer und dunkler als ich erwartet hatte. Ich merkte, wie meine Anspannung wuchs und ich mich so hinsetzte, dass ich zumindest in den Raum blicken konnte, während Will mit dem Rücken zu den anderen Gästen sitzen musste.
Ich studierte die Karte und murmelte: »Also, was empfiehlst du?«
»Alles. Der Lachs mit Ingwer und Limone ist einfach spektakulär, aber auch die Garnelengerichte sind nicht zu verachten. Wusstest du schon, dass man bei Leuten, die besonders viele Garnelen essen, eine höhere Hintergrundstrahlung nachweisen kann als bei solchen, die keine Garnelen zu sich nehmen?«
Garnelen? Was interessierten mich radioaktive Garnelen? Dann ging mir ein Licht auf. Will plapperte über strahlende Krebstiere, weil er nervös war. Das war eigentlich ziemlich süß. Wenn Leute meinetwegen nervös wurden, hatten sie normalerweise etwas zu verheimlichen.
Ich lächelte ihn an. »Dann werde ich mich wohl oder übel für den Lachs entscheiden. Schließlich will ich nicht im Dunkeln leuchten.«
Er lachte und bestellte die Getränke und das Essen, ehe wir ernsthaft zu reden und zu flirten anfingen. Bald schon unterbrach uns allerdings ein melodischer Klingelton. Es war Wills Piepser. Er zog ihn aus seiner Hemdtasche und sah nach, wer ihm eine Nachricht geschickt hatte.
Er betrachtete die Nummer und verstaute das Gerät dann wieder. »Ist es etwas Wichtiges? Ich kann ruhig warten, wenn du jemanden anrufen musst.«
»Nein, es ist nicht wichtig. Es ist nur Mikey.«
»Dein Sohn? Was will der denn?«
»Mein Sohn?«
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