Grim - Das Erbe des Lichts
erlebt.
»Ich ...«, begann Theryon, doch statt eines weiteren Wortes drang nichts als ein Keuchen aus seiner Kehle. Erschrocken griff Grim nach seinem Arm, Theryon packte seine Klaue, als wollte er sie zu Staub zermahlen. Niemals hätte Grim eine solche Kraft in diesem durchscheinenden Körper erwartet.
»Was ist los?« Mia stürzte an Theryons Seite, hilflos strich sie ihm über den Rücken.
Da griff Theryon sich an die Kehle. Mit Entsetzen sah Grim, wie seine Fingerkuppen aufplatzten und anfingen zu bluten und Theryons Augen — Grim stieß einen Schreckenslaut aus, als er sie sah. Schwarz waren sie geworden, als hätte sie jemand ausgebrannt. Zugleich fühlte er die Kälte, die aus Theryons Mund drang, und er hörte ein Lachen — eisklar und tödlich.
»Sie ist es«, flüsterte Mia, doch ehe Grim etwas hätte erwidern können, sprang Rhendralor von seinem Thron und stieß ihn zurück.
Keuchend griff Grim sich an die Brust, dorthin, wo der Hieb des Königs ihn getroffen hatte. Auch Mia war zurückgeschleudert worden. Sie lag am Boden und sah zu Rhendralor auf, der Theryon mit einem Arm umfasst hielt, während er mit dem anderen seinen Stab in die Höhe riss. Grim stockte der Atem. Der König sah aus wie ein Krieger, sein Körper war zum Sprung bereit, und seine Augen glommen in tödlichem Feuer. Sein Hofstaat stand regungslos wie zuvor, doch Grim sah die Anspannung in den Gesichtern der Feen, während Rhendralor den Stab von einer Seite des Raumes zur anderen bewegte, langsam und konzentriert, als suchte er jemanden, der sich im Licht dieses Zimmers verbarg.
Theryon hustete an Rhendralors Brust. Schwarzes Blut ergoss sich auf den Mantel des Königs, doch Rhendralor achtete nicht darauf. Stattdessen ging ein Ruck durch seinen Körper, ein schwerer, dunkler Zauber rollte über seine zu blassen Narben verzogenen Lippen. Dann sprang er in einen Ausfallschritt, streckte eine Hand nach hinten, um Theryon mit einem Schutzzauber vor dem Fall zu bewahren, und stieß mit der anderen den Stab vor.
Ein Geräusch wie das Bersten einer gewaltigen Steinmauer zerriss die Luft. Grim spürte das Beben, das den Boden durchzog und weit hinten im Tal das Meer aufwühlte. Atemlos sah er zu, wie sich die Luft in der Mitte des Raumes grau färbte, bis er gegen einen steinernen Wall schaute. Er sah Gesteinsbrocken, die zu Boden fielen und sich in Rauch auflösten, und den faustgroßen Spalt, den Rhendralors Stab in die Mauer gebrochen hatte. Und durch diesen Spalt erblickte er — die Schneekönigin.
Sie stand in Theryons Zimmer in Ghrogonia, ihr Blick ruhte fest auf Theryon. Graue Pfeile zischten durch den Schild, den der Feenkrieger um ihre reglosen Leiber gezogen hatte, und verwundeten Theryons Körper immer wieder schwer.
Rhendralor packte den Stab mit beiden Händen, und während Theryon langsam zu Boden sank, brüllte der König einen Zauber. Ein gleißend heller Strahl schoss aus der Sternspitze durch den Riss in der Mauer. Grim hörte das hemmungslose Kreischen der Schneekönigin, als Rhendralors Licht sie umfasste. Der König hob sie mit einer winzigen Geste seines Stabes empor und stieß sie in rasender Geschwindigkeit auf das Loch in der Wand zu, das viel zu klein für sie war. Donnernd schlug ihr Körper dagegen. Steine splitterten heraus, blutige Striemen überzogen ihr Gesicht, als sie durch den Riss brach und mit einem heftigen Stoß zu Boden geschleudert wurde.
Grim trat einen Schritt vor, aber er tat es wie in Trance. Mia hatte sich neben Theryon gekniet, der unter ihrem Heilungszauber langsam wieder zu sich kam, doch auch sie starrte bewegungslos zur Schneekönigin hinüber, die auf allen vieren hockte. Ihr weißes Gewand war blutbesudelt, und als sie langsam den Kopf hob und Rhendralor anstarrte, der über ihr stand, erinnerte sie Grim an ein wildes, verwundetes Tier.
»Skorpa«, sagte der König und stellte seinen Stab neben sich. Unruhig flackerte das Licht in seinem Stern. »Wirst du noch so genannt, Königin des Schnees?«
Die Fee richtete sich auf, aber in ihren Bewegungen lag keine Grazie mehr. Selbst in ihrem weißen Gewand erschien sie Grim vor diesem Herrscher der Freien Feen wie eine zerrupfte Krähe. »Rhendralor«, zischte sie, und für einen Augenblick dachte Grim, sie würde ausspucken. Doch sie wischte sich nachlässig mit dem Handrücken über den Mund, Blut blieb an ihrer Wange haften wie verschmierter Lippenstift. »Was mischst du dich in Dinge ein, die dich nichts mehr
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