Grim - Das Erbe des Lichts
scheinbaren Unendlichkeit des Raumes wider, rollte über Grim hinweg und zog sich mit eiskalten Schlingen um seine Kehle. Er schlug gegen die Mauer, doch es war zu eng, als dass er hätte ausholen können, und während das Geräusch seiner Hiebe zunehmend leiser wurde, nahm die Lautstärke seines Herzschlags beständig zu. Er bemühte sich, ruhig zu bleiben, aber schon raste sein Puls mit donnernden Schlägen durch sein Hirn, während er sich mit wachsender Panik bemühte, sich aus dem Kerker zu befreien — und je mehr er das versuchte, desto größer wurde seine Furcht. Kaum hatte er das gedacht, hielt er inne. Mit Gewalt zwang er seine Gedanken zur Ruhe und stand regungslos da. Sein Atem wurde von der Wand direkt vor ihm zurückgeworfen und fuhr ihm über das Gesicht, sein Herzschlag hämmerte laut gegen seine Rippen.
»Verflucht«, grollte er und ballte die Klauen. »Wer wagt es, mir Fesseln anzulegen in dieser Welt — mir, einem Kind des Feuers?«
Mit einem Brüllen stieß er die Fäuste vor — und die Wände zerbrachen mit leisem Klirren wie dünnes Glas. Wie in Zeitlupe sah Grim die Scherben aus Licht niederfallen, sah auch die Dunkelheit, die hinter dem weißen Raum lag und die Rückseite der Wände bedeckte wie Schleier aus Asche. Da stürzte der Boden unter ihm ein, er fiel durch undurchdringliche Finsternis und spürte zischende Funken wie Sterne auf seinem Gesicht. Es wurde heller, mit einem Ruck breitete er seine Schwingen aus und sank in sanften Spiralen tiefer.
Unter ihm lag eine endlose Wüste mit gewaltigen Dünen aus schwarzem Sand, stellenweise verkrusteter Erde und dunklen, verkrüppelten Bäumen. Ein pfeifender Wind raste über die Dünen hinweg, wirbelte den Sand zu geisterhaften Schleiern auf und schien immer wieder in hohles, wahnsinniges Gelächter auszubrechen. Inmitten der Wüste lag eine Stadt mit abendländischen Türmen und Zinnen, stolzen Herrschaftsgebäuden und breiten Straßen. Grim hielt auf diese Stadt zu, landete auf einem verwaisten Platz und schaute sich um.
Einst musste dieser Ort ein Juwel prachtvoller Architektur gewesen sein, doch nun fegte der Sand der Wüste durch die Gassen, schwarzer Ruß hatte die Gebäude verfärbt, und nichts war zu hören als die geisterhafte Stimme des Windes. Grim trat an eines der Häuser heran, die am Rand des Platzes standen, und streckte die Klaue nach der Fassade aus. Doch kaum hatte er sie berührt, wurde das Schwarz der Mauer aufgewühlt, als bestünde es aus Wasser, und Gesichter formten sich aus der Asche wie die Figuren eines Gemäldes. Grim meinte zuerst, es wären Menschen, die er erblickte, doch kaum hatte er das gedacht, veränderten sie ihr Aussehen, wurden zu Faunen, Echsen, Greifen und Kreaturen, von denen Grim noch nie etwas gehört hatte. Die Asche bildete ihre Gesichter in einem stetigen Herumwirbeln, und ihre Augen flirrten in einem trüben Wirrwarr aus Schwärze. Grim zog seine Klaue zurück, die aufgewühlte Asche legte sich nieder, und die Gesichter versanken in der Dunkelheit.
Nachdenklich wandte er sich ab, und kaum dass er den Kopf gedreht hatte, traf ihn ein Lichtstrahl, der durch den trüben Dunst des Himmels drang wie von einem Spiegel reflektierte Sonnenstrahlen. Grim spürte, wie das Licht durch seinen Körper hindurch in sein Innerstes fuhr und etwas in ihm dieser Helligkeit Antwort gab. Er wich zurück, doch der Strahl erlosch nicht. Er sank zu Grims Füßen nieder, und Grim erkannte, dass er aus einem der höchsten Türme kam. Kaum dass er einen Schritt in seine Richtung getan hatte, zog der Strahl sich ein Stück zurück, als wäre er ein Faden mit einem Stück Speck, das eine Maus hinter sich herlockte. Grim folgte ihm über rußgeschwärzte Plätze, durch leer stehende Häuser und verwaiste Hinterhöfe, bis er schließlich eine gewundene Treppe aufwärtslief und das oberste Zimmer des Turms erreichte, aus dem das Licht ihn geblendet hatte.
Der Raum war ganz und gar leer wie alle Häuser dieser seltsamen Stadt, und die schmalen langen Fenster waren von außen stellenweise mit schwarzem Sand verklebt. Dennoch war das Zimmer in gleißendes Licht gehüllt, und als Grim die letzte Stufe der Treppe betrat, sah er auch, aus welchem Grund. Der Lichtstrahl lief rattenschnell über den Boden von ihm fort — und ging in einer Flamme aus weißem Licht auf, die regungslos mitten im Raum in der Luft schwebte.
Grim wusste, dass er den Atem anhielt, aber er spürte es kaum. Er fühlte nur das Licht dieser Flamme auf
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