Grim - Das Erbe des Lichts
Etwas pochte tief hinten in seinen Gedanken, er wusste, dass es die Erinnerung an etwas sehr Wichtiges war, das er vergessen hatte — nein, er hatte es nicht vergessen, er würde gleich wieder daran denken. Aber zuerst wollte er diesen Augenblick genießen, diesen vollkommenen Moment in dieser Welt, die er erschaffen hatte, als wäre er ein Gott. Und war er das nicht? Er breitete die Arme aus und spürte den sanften Wind des Himmels auf seiner Haut — eines goldenen, vollkommenen Himmels —
seines
Himmels. In weiten Spiralen sank er tiefer, flog dicht über die Wasseroberfläche dahin — und fuhr mit einem Schrei des Entsetzens zurück.
Dort im Meer schwamm ein Dämon aus Feuer, ein Ungeheuer, das ihm ein grausames Bild vor Augen rief, eine Erinnerung, die er mit aller Macht beiseitedrängte. Doch für einen Moment war er zurück: Seraphin, sein Bruder, der in schwarzen Flammen vor ihm stand, da er sein inneres Feuer nach außen hatte treten lassen, um die Welt zu vernichten. Grim griff sich an die Kehle, auf einmal war ihm viel zu heiß. Er fuhr herum, sein Blick glitt zur Stadt zurück, die noch immer hell und strahlend aus dem Meer aufragte, und plötzlich erkannte er Gestalten auf den Mauern und Zinnen, Wesen, die keinem Volk zuzuordnen waren, da sie mehr waren als jede äußere Gestalt. Sie schauten ihn an mit reglosen Gesichtern, er wusste, dass sie auf ihn warteten. Für einen Moment hielt er inne, seine Schwingen durchzogen die Luft mit trägen Schlägen.
»Nein«, grollte er dunkel. »Noch nicht.«
Mit diesen Worten erhob er sich in seinen Himmel, der um ihn herum in einem gewaltigen Funkenregen zersprang. Mit einem Schrei streckte Grim die Klauen aus und riss das Feuer von seinem Leib. Sein steinerner Körper war zurück, als strahlende Flamme zog sich das Feuer in seiner Faust zusammen. Er starrte in ihr Licht, als wollte er es mit seinem Blick niederzwingen. Die Flamme brannte sich in seine Hand, doch sie tat ihm nicht weh. Lautlos drang sie in seinen Körper ein, heilte seine Wunden und zog sich an den Ort seiner Magie zurück. Grim hatte sie gebannt. Von nun an würde sie ihm gehorchen und ihre Macht nur dann entfalten, wenn er sie rief.
Langsam hob er den Blick und fand sich in dem gleißend hellen Zimmer wieder, dessen Wände sich scheinbar im Nirgendwo verloren. Der Fuchs war nirgends zu sehen, doch als Grim durch das goldene Portal trat, um die Welt der Götter zu verlassen, hörte er deutlich seine Stimme.
Du hast die Welt noch nicht brennen sehen, mein Freund. Doch dieser Tag wird kommen — wie die Feuer der Letzten Stunde, die Feuer, die du legen wirst.
Kapitel 30
ie Oberfläche des Portals kräuselte sich, als würden Karpfen die goldene Schicht mit ihren Flossen aufwühlen. Mia spürte den sanften Hauch von Magie. Dann trat Grim durch das Licht. Anspannung lag auf seinem Gesicht, doch als er sie ansah, glitt ein Lächeln über seine Lippen. Für einen Moment wollte sie ihn umarmen und ihren Streit vergessen. Aber etwas hielt sie davon ab, eine bohrende Stimme in ihrem Inneren, die Grims Worte wie Schüsse zurück in ihr Gedächtnis zwangen.
Auch du hast Angst, Mia, Angst davor, dass du deine Aufgabe als Hartidin niemals erfüllen wirst. Und vielleicht hast du mit deinem Zweifel recht.
Sie hörte wieder die Kälte in seiner Stimme, und nun, da sie in ihrer Bewegung innehielt, wurden seine Augen eine Spur dunkler, und die Mauer um ihn herum kehrte zurück. Er senkte den Blick, und erst jetzt fiel ihr das sanfte Glimmen in der Mitte seiner Brust auf. Es leuchtete in einem warmen, tiefgoldenen Schein und durchdrang seinen Obsidianleib, bis er lautlos einen Zauber murmelte. Rasch zog sich steinerne Haut darüber hin, doch Mia fühlte sie noch immer — die vibrierende, sich langsam beruhigende Macht der Ersten Flamme.
»Du hast es geschafft«, sagte Hortensius, doch es klang eher wie eine ungläubige Frage.
Grim lächelte ein wenig. »Eine sehr scharfsinnige Feststellung für einen Zwerg«, erwiderte er freundlich. Dann trat er zu Carven. »Bist du bereit?«
Der Junge nickte. »Das bin ich«, sagte er schnell, aber seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
Grim legte ihm die Klauen auf die Schultern. »Keine Angst«, sagte er, und seine Stimme klang so sanft, dass Mia überrascht die Brauen hob. Noch nie hatte sie Grim auf diese Art zu jemandem sprechen hören — außer zu ihr selbst, und das auch nur dann, wenn sie krank oder verwundet gewesen war. »Dein Meister wird jetzt
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