Grim - Das Erbe des Lichts
verlassen hast:
Wir werden uns wiedersehen, Rosalie Grünauge, das verspreche ich dir.
Wer hätte gedacht, dass es unter diesen Umständen passieren würde!« Ihr Blick verfinsterte sich, als sie sich in der Stube umsah. »Ich bin hier die Haussklavin oder auch Mücke, wie Dramdya zu sagen pflegt — aber ich nenne mich selbst noch immer Elfe des Waldes.«
»Ich kenne zahlreiche Schrecken, die im L'hur Bhraka ihr Unwesen treiben«, stellte Remis fest. »Doch dass Dramdya sich in diesem Wald niedergelassen hat, war mir unbekannt.« Er schüttelte den Kopf, als könnte er seine eigene Unwissenheit nicht fassen. »Gibt es denn keinen Weg, ihr zu entkommen? Du bist eine Elfe — du verfügst über mächtige Magie, und ...«
In diesem Moment polterte es in der Nähe des Hauses. Remis fuhr zusammen, auch Rosalie erschrak und wurde bleich unter ihrer goldenen Haut.
»Sagtest du nicht, sie sei fortgegangen?«, flüsterte Remis kaum hörbar.
»Du weißt nicht viel über die Hexe«, stellte Rosalie fest. »Ich bin eine Elfe, das ist wahr — aber hier, in diesem Haus, habe ich keine Macht. Und Dramdya kann nicht weit von hier fortgehen. Sie ist an dieses Haus gebunden.«
Remis hob verwirrt die Brauen und gab damit Grims Gefühl Ausdruck, nicht zu begreifen, wovon die Elfe da redete.
Rosalie warf einen prüfenden Blick aus dem Fenster und atmete erleichtert auf. Dann kehrte sie zu Remis zurück. »Einst war sie eine starke und gefürchtete Schwarze Hexe«, flüsterte sie. »Eine ganze Weile nach der Abreise deiner Familie kam sie als großes Unheil über diesen Wald und verbreitete Angst und Schrecken in meinem Volk.
Doch als die Feen die Welt endgültig verließen und ihre Magie mit sich nahmen, schwanden auch Dramdyas Kräfte. Sie begann sich zu stärken, indem sie sich von meinem Volk nährte. Sie sperrte uns ein, nahm uns unsere Magie, fraß uns bei lebendigem Leib.
Eure Reinheit,
soll sie damals gesagt haben,
ist mein ewiges Leben.«
Ein Schaudern lief über Rosalies Körper, ihr Gesicht verdunkelte sich wie der Himmel bei einem Gewitter. Wütend ballte sie die Fäuste. »Doch eines Tages beschloss mein Volk, sich zu wehren. Meine Ahnen formten einen mächtigen Fluch, doch als sie der Hexe gegenüberstanden und den Fluch sprachen, setzte Dramdya das Elfenfeuer frei — jenen Zauber, mit dem sie zuvor ihren Opfern die Kraft genommen hatte, um sie anschließend zu töten. Dieses Feuer entfachte sie um sich herum, und der Fluch der Elfen konnte die Flammen nicht durchdringen. Dort, wo das Feuer loderte, verlor er seine Kraft, selbst dann noch, als die Flammen längst erloschen waren. So kam es, dass Dramdya an diesen Ort gebunden wurde. Sobald sie ihn verließe, würde der Fluch der Elfen sie finden und sich an ihr vollziehen. Hier jedoch, in diesem Haus und einige Schritte ringsherum, kann keine Elfe ihre Kraft entfalten. Unsere Magie wird durch die Bosheit Dramdyas aufgezehrt. Noch immer ernährt sie sich von der Reinheit meines Volkes, denn immer wieder gelingt es ihr, einzelne Elfen zu fangen — wie mich. Mein Volk hat keine Chance, mich zu befreien. Und nun bricht auch noch die Grenze zur Feenwelt zusammen, immer mehr Feenmagie strömt in unsere Welt, und Dramdyas Macht wächst von Stunde zu Stunde, denn sie war den Feen schon immer auf besondere Weise verbunden und ihnen in magischen Dingen verwandt.«
Grim stöhnte unter der Kälte des Bannzaubers. Sie mussten eine Möglichkeit finden zu fliehen, ehe die Hexe zurückkehrte, sonst ... Schritte zerrissen seinen Gedanken. Knirschend traten sie den Schnee nieder und kamen unaufhaltsam auf das Haus zu. Carven neben ihm fuhr zusammen, Remis stand stocksteif in der Luft. Rosalie starrte einen Augenblick lang schreckensstarr auf die Eingangstür. Dann packte sie Remis, riss ihn mit sich quer durch den Raum und schob ihn ohne ein Wort hinter eines der schweren Bücher auf einem Regal. Grim sah gerade noch, wie Remis sein Leuchten abschwächte, bis es nicht mehr zu sehen war. Dann wurde die Tür aufgerissen.
Grim zog die Brauen zusammen. Vor ihm stand eine junge Frau mit langem, seidenglatten Haar in der Farbe von Ebenholz. Ihre Haut war weiß und ohne jeden Makel, ebenso wie ihr schmales Gesicht mit den mandelförmigen Augen, die Grim in ihrer Farbe an flüssigen Honig denken ließen.
»Ja«, sagte Dramdya, denn niemand anderes war es, und lächelte sanft. »Wie du siehst, mache ich meinem Namen alle Ehre: die Tausendgesichtige — so nannte man mich früher. Meine
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