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Grim - Das Erbe des Lichts

Grim - Das Erbe des Lichts

Titel: Grim - Das Erbe des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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Macht wurde gebrochen durch frevelnde Hand, doch nun werde ich zu alter Stärke zurückkehren. Die Macht der Alben fließt auch in meinen Adern, wusstest du das? Sie durchströmt die Welt wieder wie ein Fluss die Wüste, und sie nährt mich und bringt mich zum Blühen — wie die Nacht bei sternklarem Mond.«
    Für einen Moment ließ sie ihren Blick über Grim und Carven gleiten. »Das Kind hat mich erkannt«, flüsterte sie kaum hörbar. »Kinder konnten das schon immer. Vielleicht schmecken sie mir deshalb ganz besonders gut.«
    Damit trat sie zu dem kleinen Tisch vor dem Fenster und zog einen metallenen Topf mit Deckel aus ihrer Tasche. Grim sah weißen Nebel, der unter dem Deckel hervorquoll und leise zischend über die Tischplatte zu Boden glitt. Dramdya schnippte mit dem Finger. »Mücke!«
    Rosalie schwirrte eilfertig heran, doch Grim sah deutlich den Funken der Ablehnung in ihren Augen, der nur eines winzigen Luftzugs bedurfte, um in Flammen aufzugehen.
    »Heute haben wir ein besonderes Festmahl vor uns«, sagte die Hexe mit grausamem Lächeln. »Es war nicht leicht, den Fresser herzustellen — aber mit diesem Zauber sollte unser Hauptgang ein Genuss werden. Er wird die Eingeweide des Zwergs herausnagen, möglichst langsam, sodass ich mich als Vorspeise an seinen Todesschreien ergötzen kann. Dann werde ich ihn mit Kastanien und Rosinen füllen — das passt hervorragend in die kalte Jahreszeit, denkst du nicht auch?«
    Grim hielt den Atem an. Er rechnete damit, dass Carven jeden Augenblick eine unbedachte Bemerkung machen und die Aufmerksamkeit der Hexe auf sie ziehen würde — doch glücklicherweise hielt der Junge den Mund. Rosalie durchbohrte Dramdya in der Zwischenzeit mit ihren Blicken, aber die Hexe achtete nicht darauf. Sie war damit beschäftigt, allerlei Kochzutaten auf dem Tisch auszubreiten.
    »Du schälst die Zwiebeln«, befahl sie, ohne die Elfe eines Blickes zu würdigen. »Aber sieh dich vor: Wenn du diesem Zauber in ungeschütztem Zustand zu nahe kommst, wird er deine hübschen Hände zu Asche verbrennen.«
    Schaudernd wich Rosalie vor dem rauchenden Topf zurück und schwirrte hinüber zu den Zwiebeln. Dramdya wandte sich um und sah Grim an. »Mit dir hingegen«, flüsterte sie beinahe zärtlich, »habe ich andere Pläne.«
    Langsam bewegte sie sich auf Grim zu. Sie verursachte dabei keinerlei Geräusch — nur ihr langes Kleid raschelte leise, als sie sich vor ihm niederließ. Grim hörte, wie Carven neben ihm die Luft einsog, aber die Fesseln um seinen Hals verhinderten, dass er den Jungen anschauen konnte. Stattdessen lag sein Blick auf Dramdya. Aus der Nähe betrachtet sah ihre Haut aus wie eine hauchdünne Schicht aus kostbarem Marmor — doch darunter, brodelnd und zerfressen, wälzte sich die Fäulnis ihrer Verdammnis auf und nieder. Ihre Augen blickten sanft und umschmeichelten Grims Wangen mit goldenen Farben, aber ihre Pupillen waren kälter als jeder Frost des Nordens, und als sie sich vorbeugte, die zartroten Lippen so dicht an Grims Mund, dass er ihren Atem spüren konnte, roch er nicht nur die Süße ihrer Haut, sondern auch das saure Versprechen des Todes.
    Er wich so weit vor ihr zurück, wie er es vermochte, aber sie lächelte nur und folgte seiner Bewegung. Grim spürte die Kälte, die über ihre Lippen kroch, und den Nebel, der in ihrem Schlund darauf wartete, sich seine Kehle hinabzustürzen, um ihn innerlich zu zerreißen.
    »Scheusal«, zischte da eine Stimme.
    Grim war zu überrascht, um an die Fesseln um seine Kehle zu denken. Atemlos fuhr er herum und schaute in Carvens Gesicht. Die Fesseln schnürten sich tief in Grims Fleisch, aber er merkte es kaum. Noch nie zuvor hatte er den Jungen so gesehen. Er steckte noch immer in diesem kleinen, schwachen Körper, hatte noch immer dieses bleiche Gesicht und die schwarzen, zerzausten Haare, die ihm in allen Richtungen vom Kopf abstanden. Aber seine Augen waren groß geworden, riesig geradezu — oder der Zorn, der in ihnen Funken sprühte, ließ sie so groß wirken. Grim sah Welten in diesen Augen in Flammen aufgehen, er sah Menschen, die bei lebendigem Leib verbrannten, und einen Himmel wie eine blutende Wunde über verwaisten Städten. Dann wurde Carvens Blick wieder schwarz, doch auch diese Schwärze genügte, um Grim den Atem stocken und Dramdya innehalten zu lassen.
    Aber die Hexe der Nacht fing sich schnell. »Was hast du gesagt?«, fragte sie mit einer Stimme, die Grim an den Schrei einer sich verbrennenden Katze

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