Grim - Das Erbe des Lichts
den Augen zu lassen, legte er sich die Kette um.
»Ich ...«, begann er, schien zu vergessen, was er sagen wollte, und umfasste die Kette mit der Faust. »Ich danke dir.«
Rosalie schaute ihn prüfend an. Dann lächelte sie. »Eines ist sicher«, sagte sie leise. »Wir werden uns wiedersehen, Remis Grünhaar — das verspreche ich dir.«
Dann flog sie auf ihn zu, so schnell, dass er nicht zurückweichen konnte, und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. Und ehe Remis auch nur einen Ton über die Lippen gebracht hätte, war sie in der Dunkelheit des Waldes verschwunden.
Das sanfte Rot, das gleich darauf Remis' Wangen überzog, hielt jedoch noch eine ganze Weile, und selbst als sie sich bereits lange von Larvyn und seinem Volk verabschiedet hatten und über die Gipfel der Alpen hinwegflogen, hielt der Kobold sein Geschenk noch fest umschlossen in der Hand: ein Stückchen Gold aus den Händen einer Elfe.
Kapitel 38
ias Atem ging stoßweise. Vorsichtig spähte sie hinter der Kommode hervor und beobachtete Jakob und Theryon, die seelenruhig vor der Tür des Medusenzimmers standen und nur darauf zu warten schienen, dass die Feen sie entdeckten. Allein das leichte Flirren ihrer Augen verriet die beiden als Illusionszauber. Mia nickte zufrieden. Auch ihr eigenes Abbild war ihr gut gelungen. Regungslos verharrte ihr zweites Ich neben der Tür.
Jetzt eilten Schritte über den Gang, die Tür wurde aufgerissen. Kaum merklich bewegte Mia die Hand und formte Worte mit den Lippen, die in dröhnender Lautstärke aus dem Mund ihres Zauberdoubles drangen. Die Feen wichen vor einem gezielten Schlag Theryons zurück, die Illusionen sprangen an ihnen vorbei aus dem Zimmer und rannten den Gang hinunter. Sofort nahmen die Feen die Verfolgung auf und ließen das Medusenzimmer zurück, ohne einen weiteren Blick hineinzuwerfen.
Mia lief zur Tür, dicht gefolgt von Theryon und Jakob. Die Feen ahnten nicht, dass sie Illusionen nachjagten, doch es war nur eine Frage der Zeit, bis sie die falsche Fährte entlarven würden. Mia holte tief Atem. Am liebsten hätte sie dieses verdammte Schloss auf dem schnellsten Weg verlassen. Jakob hatte sich zwar von seinen Verletzungen erholt, aber er war noch immer erschöpft, und bei dem Gedanken an Nahyd, der sich vermutlich nichts Schöneres vorstellen konnte, als zwei Menschen und einen Feenkrieger zu verspeisen, wurde Mia eiskalt. Doch sie durfte noch nicht fliehen. Sie musste den Einsturz der Grenze verhindern, und die Menschen Dublins brauchten ihre Hilfe. Sie schaute zu Theryon hinüber, der angestrengt lauschte, und nun, da er den Blick wandte und ihr zunickte, lag eine Zuversicht in seinen Augen, die sie lächeln ließ.
Eilig verließen sie das Zimmer. Theryon führte sie zielstrebig über zahlreiche Wendeltreppen und durch geheime Gänge und verlassene Zimmer, bis er im obersten Stockwerk eines Turms stehen blieb. Eine breite, reich verzierte Tür aus Jade führte aus dem Raum hinaus. Langsam ging Theryon darauf zu und öffnete sie. Dahinter lag eine von glitzerndem Kristall überdachte Brücke. Bücherregale erhoben sich an beiden Seiten neben winzigen Fenstern. Am Ende wurde die Brücke von einem großen zweiflügeligen Tor verschlossen. Auf den ersten Blick sah es aus wie aus Glas, doch dann erkannte Mia, dass es aus Eis bestand — einem klaren, mit funkelnden Beschlägen versehenen Eis. Dahinter glomm ein rot flackerndes Licht, das seinen blutigen Schein in pulsierenden Wellen zu Mia herüberschickte. Sie spürte, wie ihr der Atem stockte. Hinter diesem Tor lag der Lia Fáil, der Schicksalsstein der Feen. Bald schon würde der Zauber der Königin sich vollenden und mit der Kraft des roten Kristalls die Macht aller Feenorte der Welt freisetzen. Schaudernd dachte Mia an den Riss, der über den Hügeln Taras geklafft hatte wie eine blutende Wunde, und an die unzähligen Feen, die mit tödlichen Absichten auf die Erde niedergefahren waren. Nicht mehr lange, und dieses Bild würde überall auf der Welt zu sehen sein — wenn sie es nicht verhinderten.
Mia spannte die Muskeln an, als sie die Stimmen hörte, die durch das Tor zu ihnen drangen, doch Theryon rührte sich nicht. Sie betrachtete ihn von der Seite, die schwarzen Haare, die in kunstvollen Zöpfen auf seinen Rücken hinabfielen, die durchscheinende Haut und das erhabene, aristokratische Profil. Er war ein Krieger, das stand außer Zweifel, und doch schimmerte in seinen Zügen eine Sanftheit und Wärme, die nicht zu einem Kämpfer
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