Grim - Das Erbe des Lichts
»Und du kannst das beurteilen, ja?«, fragte er grollend, und Mia hörte den Zorn in seiner Stimme. »Du, der große Krieger, der Held, auf den wir alle gewartet haben — du willst losziehen und die Alben besiegen, du willst die Welt retten? Ist das dein Ernst?«
Da trat Hortensius vor, unverhohlene Wut flackerte in seinem Blick. Er hatte sich zurückgehalten, die ganze Zeit über, doch jetzt spürte Mia, dass er nicht mehr länger an sich halten konnte. Mit hochrotem Kopf baute er sich vor Grim auf. Doch da legte Carven seine Hand auf den Arm seines Meisters. Verwunderung flammte über Hortensius' Gesicht, die Wut in seinen Zügen verrauchte. Langsam schüttelte der Junge den Kopf. »Ich kann die Schneekönigin besiegen«, sagte er mit fester Stimme, und Mia sah, wie sich ein sanfter Glanz in Hortensius' Augen stahl. »Ich bin der Krieger des Lichts!«
Grim neigte den Kopf, Mia meinte fast, die Worte zu fühlen, die bereits auf seiner Zunge lagen. Sie griff nach seinem Arm, um ihn daran zu hindern, sie auszusprechen, doch er streifte ihre Hand ab, fixierte den Jungen und grollte leise: »Du bist nur ein Kind.«
Hortensius fuhr zurück, als hätte Grim mit einem flammenden Schwert nach ihm geschlagen, und auch Carven trafen seine Worte wie ein Fausthieb. Für einen Moment meinte Mia, der Junge würde sich umdrehen und davonlaufen. Doch stattdessen sprang er plötzlich vor — so schnell, dass Mia seinen Bewegungen kaum folgen konnte —, griff in Grims Tasche und zog den Pieper heraus. Blitzartig sprang er zurück, ein wütendes Flackern war in seinen Blick getreten. »Ich gebe nicht auf!«, rief er. »Die Anderwelt muss uns helfen!« Mit diesen Worten drückte er auf den erstbesten Knopf.
Im selben Moment brach gleißendes Licht aus dem Gerät. Wie aus einem gewaltigen Scheinwerfer flutete es über Boden und Decke. Für einen Augenblick flackerte Mouriers Gesicht als Hologramm durch den Raum, dicht gefolgt von einigen Straßenzügen Ghrogonias. Dann stieß der Pieper ein durchdringendes Pfeifen aus. Erschrocken ließ Carven ihn fallen, doch das Licht erlosch nicht. Flackernd raste es durch den Raum und brach mit grellen Strahlen durch die Fenster. Mia fuhr zusammen, als sie die Lichtreflexe sah, die wie die Lasereffekte eines Popkonzerts über den Himmel flammten. Grim riss den Pieper an sich und ließ ihn in seine Tasche gleiten, doch es war zu spät. Gleich darauf hörte Mia die Alben schreien. In einer gewaltigen schwarzen Wolke erhoben sie sich in die Luft und stürzten auf das Schloss zu.
Theryon, Jakob und Hortensius errichteten einen Schutzwall, doch Mia wusste, dass es aussichtslos war. Sie hatten keine Möglichkeit mehr zur Flucht. Sie waren gefangen.
Der Zorn des Baal,
klang plötzlich Lyskians Stimme in ihr wider.
Dieser Zauber hat die einmalige Kraft, dich unsichtbar zu machen. Benutze ihn, wenn es keinen anderen Ausweg mehr gibt.
Atemlos löste sie die Kette um ihren Hals und legte sie Carven um. Der sechseckige Kristall flackerte in rotem Licht, und Mia meinte für einen Moment, ein tiefes Grollen zu hören wie von einem fernen Gewitter.
»Du musst überleben«, flüsterte sie kaum hörbar und drückte Carvens Hand. »Du bist die Hoffnung der Menschenwelt!«
Sie sah Carvens Augen, riesig wie zwei helle Seen, und seine Finger, die ihre Hand mit aller Kraft umfassten. Zärtlich strich sie ihm über die Wange und zwang ein Lächeln auf ihre Lippen, doch ihre Stimme zitterte, als sie die Formel des Dämonenzaubers sprach.
»Bh'afyn Lhega Torrn«, flüsterte sie und sah, wie Carven in flirrendes Licht gehüllt wurde.
Im nächsten Moment zerbrachen die Fenster unter der Wucht der schwarzen Wolke. Die Angreifer zerfetzten den Schutzwall, golden warf sich Grims Abwehrzauber auf die ersten Reihen der Alben. Carvens Gestalt flackerte, doch schon schossen tödliche Pfeile in seine Richtung und verfehlten nur knapp seine Kehle. Mia spürte ihr Herz schmerzhaft in ihrer Brust, als sie eine Entscheidung traf, doch sie hatte keine andere Wahl. Sie musste Carven zur Flucht verhelfen — um jeden Preis.
Mit diesem Gedanken sprang sie direkt vor die wutverzerrten Gesichter ihrer Feinde und schrie einen Zauber, der sie eisig und gleißend durchströmte wie das Licht der Wintersonne auf frisch gefallenem Schnee. Sie spürte, wie ihre Magie die Scherbe in ihrer Brust durchfloss, sah die Mauer aus messerscharfen Eiskristallen, die sich in rasender Geschwindigkeit vor den Alben auftürmte. Dann warf sie den Kopf
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