Grim - Das Erbe des Lichts
ich auf der Suche nach dem Krieger des Lichts. Ich werde ihn nicht töten, keine Sorge. Ich brauche ihn für ... andere Pläne. Zweifelsohne werde ich ihn mithilfe meiner Alben finden, das ist sicher — früher oder später. Doch mir steht nicht der Sinn danach, meine Ziele noch länger zu verzögern, und darüber hinaus ist es nicht ungefährlich, Geschöpfe wie die Schattenalben auf die Spur eines zarten Menschenkindes zu bringen. Ihr habt erlebt, was sie mit den Menschen Dublins taten oder mit den Bewohnern von Paris — ich kann nicht garantieren, dass sie sich an meine Befehle halten, wenn ihr Blutdurst geweckt wird ...« Sie lächelte boshaft, als Hortensius bei ihren Worten einen Zwergenfluch über die Lippen brachte, doch sie ließ sich nicht unterbrechen. Mit geschmeidiger Anmut umfasste sie Grim mit ihrem Blick, trat langsam auf ihn zu und beugte sich vor. Er konnte den Duft von Schnee riechen, der von ihrer Haut ausging. »Helft mir, ihn zu finden«, flüsterte sie mit grausamer Zärtlichkeit. »Und ich lasse euch am Leben.«
Grim spürte seinen Herzschlag dumpf in seinen Schläfen, für einen Moment sah er nichts mehr als den dunklen Sternenhimmel in den Augen der Königin. Dann stieß er die Luft aus, langsam und verächtlich. »Du magst einen Schattenalben gekauft und bestochen haben«, grollte er und sah, wie sich die Flammen in seinen Augen auf ihrer blassen Haut brachen. »Doch bei einem Hybriden wie mir wird dir das nicht gelingen. Ich habe unzählige Gesetze gebrochen in meinem langen Leben, habe Grenzen überschritten und Regeln gebeugt — doch niemals habe ich jemanden ans Messer geliefert, ganz gleich, für welchen Preis. Und ich werde jetzt nicht damit anfangen.«
Die Schneekönigin betrachtete ihn mit kühlem Blick. Fast meinte er, das Eis hören zu können, das bei seinen Worten über ihr Gesicht gezogen war und sich nun zu einer glitzernden Maske aus Frost zusammenfügte. Dann sprang sie auf, ihr Haar wirbelte durch die Luft und schlug Grim blutige Striemen quer über die Wange.
»Mutter!«
Die Schneekönigin erstarrte in ihren Bewegungen. Für einen Moment sah es so aus, als hätte dieses Wort einen Zauber aus Licht auf sie geworfen. Dann wandte sie den Kopf, die Magie fiel von ihrem Körper ab wie bröckelnder Stein und ließ nichts zurück als den froststarren Glanz auf ihrer Haut.
Langsam trat sie auf Theryon zu, um dicht vor ihm stehen zu bleiben. »Sohn«, flüsterte sie und hauchte ihren Atem aus weißem Nebel auf seine Wangen. »Willst du dich entschließen, deine Freunde zu retten? Hilf mir, den Jungen zu finden — stell dich auf meine Seite, wie du es schon vor langer Zeit hättest tun sollen!« Grim bemerkte einen sanften Schimmer in ihrem Blick, als sie die Hand ausstreckte und über Theryons Lider strich. »Früher habt ihr die gleichen Augen gehabt«, flüsterte sie zärtlich. »Auryl und du. Erinnerst du dich daran? Ein Himmel voller Sterne über den Ruinen einer vergessenen Stadt. Ymryol, die Stadt des Schnees mit ihren Zinnen und Türmen aus Eis. Svalbard ... Dort seid ihr aufgewachsen, habt in den Wäldern Finsterlands mit den Wölfen gespielt und des Nachts den Nektar der Glutelfen in silbernen Kelchen gesammelt, um die Feuer auf den Türmen der Stadt zu entzünden. Das Nordmeer rauschte vor euren Fenstern, während ihr schlieft, und mitunter gab es glanzvolle Feste am Hof für die Prinzen Theryon und Auryl, die Schönäugigen, wie unser Volk euch nannte. Erinnerst du dich daran? Erinnerst du dich an Auryl, deinen Bruder?« Sie streckte die Hand aus und legte die Finger vorsichtig auf Theryons Brust, dorthin, wo das Herz war. »Vermisst du ihn ebenso sehr wie ich? Fehlt dir seine Stimme, die wie das Flüstern des Meeres war kurz vor dem Beginn des Frühlings? Erinnerst du dich an sein Haar, so seidig und weich, und an sein Lachen — dieses Lachen, das die Hänge der Mitternachtsschlucht zum Bersten bringen konnte in seiner Schuldlosigkeit?«
Grim hielt den Atem an, denn er meinte, ein Kinderlachen über das Deck wehen zu hören, ein Lachen, das in zärtlichen Wellen über seine Haut strich und ihn lächeln ließ. Gleich darauf spürte er die Trauer der Königin, und er sah, wie sich eine, schwarze Träne in Theryons rechtem Auge bildete.
»Erinnerst du dich an die Nacht, die Auryls Schicksal besiegelte?«, fuhr die Königin fort. »An unserem Hof war schon alles bereit, um Rhendralors Befehl, die Menschenwelt zu verlassen, Folge zu leisten. Doch nicht alle Feen
Weitere Kostenlose Bücher