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Grim - Das Erbe des Lichts

Grim - Das Erbe des Lichts

Titel: Grim - Das Erbe des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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Stimme zerriss die Schleier um sie herum wie mit brennenden Schwertern.
    »Carven ist verschwunden«, fuhr Jakob fort. »Und selbst wenn wir ihn finden, haben wir nicht nur eine Armee aus übermächtigen Alben gegen uns. Wir haben auch das Schwert und das Blut des Kriegers des Lichts an die Königin verloren. Jetzt ist sie am Ziel. In drei Nächten wird sie ihren Sohn Auryl zum Leben erwecken und die Welt der Menschen in den Untergang treiben. Und mehr als das — du hast gesehen, wen sie Morrígans Hunger opfern wird.«
    Mia fuhr zusammen, als das Bild des Kindes in ihr auftauchte, das die Schneekönigin ihnen gezeigt hatte. Wieder sah sie das bleiche, aufgedunsene Gesicht, die Schläuche und Nadeln in dem kleinen Körper und die Farben des Ersten Lichts, die das Kind in vollendeter Intensität umspielt hatten. Sie presste die Zähne aufeinander und bemühte sich nach Kräften, das Bild des ausgedörrten, toten Körpers aus ihren Gedanken zu vertreiben, aber es gelang ihr nicht. Die Augen aus Wachs gingen ihr nach, ebenso wie der lautlose und dennoch markerschütternde Schrei aus der stummen Kehle.
    »Es war eine Illusion«, sagte sie mehr zu sich selbst als zu Jakob, um die Folge an Schreckensbildern in ihrem Kopf zu unterbrechen. Rasch tauchte sie ihr Tuch in die Wasserschale, das plätschernde Geräusch klang überdeutlich in den hohen Gewölben der Kathedrale wider.
    »Aber genau das wird passieren«, erwiderte Jakob. »Die Königin wird die Menschheit vernichten, Mia. Und ich bin gekommen, um mit dir darüber zu sprechen, was aus dir ... aus uns werden soll.«
    Sie hob den Kopf, auf einmal erschien ihr die Szene so unwirklich, dass sie beinahe lachen musste. Aber Jakob sah sie ernst an, so ernst, dass ihr kalt wurde. Noch nie hatte sie sich in der Nähe ihres Bruders so gefühlt wie in diesem Moment, so fremd und so — einsam.
    »Die Anderwesen Ghrogonias werden uns aufnehmen«, sagte er, doch seine Stimme klang wie durch dicke Tücher zu ihr herüber. »Wir werden die Oberwelt verlassen müssen, aber die Anderwelt wird uns ein neues Zuhause werden, und vielleicht können wir eines Tages zurückkehren, wenn ... alles vorbei ist.«
    Mia schaute ihn an, sah, wie er über das Amulett auf Hortensius' Brust strich, und spürte die Wut in sich aufflackern.
    »Hortensius«, flüsterte Jakob kaum hörbar. »Ritter der Sterne, wir haben versagt. Du hast dein Leben weggeworfen für ... nichts. Du bist ein Narr gewesen.«
    Da riss Mia ihr nasses Tuch in die Luft und schleuderte es Jakob vor die Brust. »Hör auf!«, rief sie so laut, dass ihre Stimme in den Gewölben der Kathedrale widerhallte. Sie hörte, wie die beiden Worte um die Säulen fegten, und starrte ihren Bruder mit allem Zorn an, den sie in sich fühlte. Er erwiderte ihren Blick, erschrocken und — hilflos? Sie zog die Brauen zusammen, sie wollte sich nicht darum kümmern, was hinter der verfluchten Mauer vor sich ging, die ihn seit seiner Rückkehr in die Menschenwelt umgab. »Sei still!«, zischte sie. »Wie kannst du es wagen, vor Hortensius solche Worte in den Mund zu nehmen! Wie kannst du so blind sein, wie kannst du die Hoffnung aufgeben, ausgerechnet du! Mein ganzes Leben lang bist du mein Leitstern gewesen, nach Lucas' Tod und besonders im vergangenen Jahr, in dem ich die Aufgabe der Hartide ganz allein erfüllen musste! Immer wieder bin ich darüber verzweifelt, an meinem Misstrauen den Menschen gegenüber, an meiner Unsicherheit, ob sie sich jemals ändern werden, ob ich es schaffen kann, sie auf den richtigen Weg zu bringen! Aber ich sagte mir: Jakob hätte nicht aufgegeben. Jakob kannte keinen Zweifel. Jakob hatte ein Licht in sich, er gab es an mich weiter, und jetzt ist es meine Aufgabe, dieses Licht nicht erlöschen zu lassen! Ich habe getan, was ich konnte, und als ich dich wieder in meiner Nähe hatte, glaubte ich, dass wir gemeinsam den Weg fortsetzen würden, den du mir gezeigt hast! Doch jetzt sieh dich an!«
    Sie war atemlos, als sie eine der Scherben vom Boden aufhob, sie mit einem Spiegelzauber überzog und ihm vor die Augen hielt. Er wich vor ihr zurück, aber sein Gesicht verlor seine Kälte, es war, als würden Strahlen aus Licht Risse in die Eisschicht brennen, die ihn umhüllte. Sie ging ihm über die Scherben nach, bis er mit dem Rücken gegen eine Säule stieß und sich mit aufgerissenen Augen selbst ins Gesicht starrte.
    »Sieh hin«, wiederholte Mia kaum hörbar. »Nahyd hat versucht, dir den Glauben zu rauben, die Hoffnung,

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