Grim - Das Erbe des Lichts
das Licht, das in dir brannte. Er hat dir die Liebe zur Welt genommen, für die du einst dein Leben gegeben hast — und warum solltest du eine Welt retten, die dir nichts mehr bedeutet? Er hat dich in die Finsternis gestürzt, und in ihr wirkt für dich alles bedeutungslos und leer — wie du dir selbst erscheinst! Er hat dir alles genommen, was du bist. Das denkst du doch?«
Sie sah, dass Jakob sich in der Scherbe betrachtete — sein leeres, fühlloses und gleichgültiges Gesicht, das ihm selbst ebenso fremd erscheinen musste wie ihr. Langsam nickte er.
»Aber das ist nicht wahr«, sagte sie eindringlich. »Er konnte dich quälen, er konnte dich vergessen lassen und dir das Erste Licht rauben — aber jetzt wird es Zeit, dass du dich erinnerst! Erinnere dich daran, dass du es warst, der die Hoffnung niemals aufgegeben hat, der sein Leben für die Menschen riskierte und es schließlich opferte, weil er sich weigerte, dieses Licht aufzugeben. Hast du vergessen, was du mir damals gesagt hast:
Es geht um mehr als uns beide, um viel mehr.«
Er schüttelte den Kopf, ohne sich von der Scherbe abzuwenden. »Nicht jeder braucht einen Totensänger, um sein Licht zu verlieren. Du weißt nicht, wie es in vielen Menschen aussieht. Die Feenwelt hat mich Dinge sehen lassen, von denen du nichts ahnst. Die Menschen werden sich nie ändern. Sie ...«
Da stieß Mia die Luft aus und ließ die Scherbe fallen, die in tausend Splitter zerbarst. »Hör auf? Ich bin das Gerede über die schlechten, unveränderlichen Menschen leid! Vielleicht hast du recht — vielleicht habt ihr alle recht mit euren Zweifeln. Vielleicht wird sich nie etwas ändern, und alles, wofür wir kämpfen, ist sinnlos und umsonst. Vielleicht ist eine geeinte Welt, vielleicht ist das Ideal des Guten nichts weiter als eine Illusion. Aber eines weiß ich genau: dass ich nie aufhören werde, dafür zu kämpfen!« Entschlossen trat sie auf Hortensius zu und umfasste seine kalte Hand. »Er hat an die Menschen geglaubt, nicht nur an Carven, sondern auch an uns! Er hat sein Leben für den Jungen gegeben, weil er die Hoffnung nicht aufgeben wollte! Er, ein Anderwesen, ist für die Menschheit gestorben, die von seiner Existenz nicht einmal etwas ahnt!« Sie holte tief Atem. Jakob starrte sie an, sie sah, dass er schnell atmete. Hortensius' Hand lag in ihrer, auf einmal fühlte sie die Kälte nicht mehr, die von seinen Fingern ausging. »Ich werde ihn nicht im Stich lassen«, sagte sie mit fester Stimme. »Grim hat einmal gesagt, dass ich ein Licht in mir trage — ein Licht, das andere Menschen entzünden und die Hoffnung weitergeben kann. Es ist mir schwergefallen, ihm zu glauben. Ich habe immer nur dich gesehen als den großen, starken, heldenhaften Hartiden und Bruder, der du warst. Aber jetzt ist das vorbei.«
Sie hob das Tuch auf, das vor dem Sarkophag niedergefallen war, und tauchte es in das Wasser. »Es ist deine Entscheidung«, sagte sie ruhig. »Du kannst nach Ghrogonia gehen und dich in der Anderwelt verstecken, während die Königin alles vernichtet, woran du einst geglaubt hast. Du kannst vergessen, wer du warst, kannst verleugnen, was du insgeheim schon längst weißt: dass du noch nicht alles verloren hast, da das, was in dir brannte, unsterblich ist. Du kannst deine Wünsche und Träume verraten und dich deinem Schmerz und deiner Dunkelheit hingeben. Wenn du dich dazu entschließen willst, weiter in deinem inneren Käfig zu sitzen, zerfressen von Leere und Zweifeln, die Nahyd und die Welt der Feen in dich gepflanzt haben, werde ich dich nicht daran hindern. Aber begleiten werde ich dich nicht.« Sie trat auf ihn zu. »Ich werde unseren Weg weitergehen. Noch bin nicht ich es, die dort auf dem Sarkophag liegt, weil ich mein Leben für meinen Traum gegeben habe. Aber wenn es so kommen soll, bin ich bereit. Vielleicht bin ich kein flammendes Inferno, vielleicht ist mein Licht klein und schwach. Aber es ist da, und ich werde eher sterben, als diese Flamme erlöschen zu sehen.«
Jakob schaute sie an, sein Gesicht war ein Meer aus Empfindungen wie früher, ehe er sich in der Welt der Feen verloren hatte, doch sie sah den Kampf, den er in seinem Inneren ausfocht, an dem Sturm in seinen Augen.
»Hortensius ist für uns gestorben«, sagte sie kaum hörbar. »Ich werde ihm das geben, was ein Ritter seines Schlages verdient: eine Bestattung nach Heldenart. Und dann werde ich herausfinden, wie wir die Schneekönigin aufhalten oder sogar besiegen können. Die Frage
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