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Grim - Das Erbe des Lichts

Grim - Das Erbe des Lichts

Titel: Grim - Das Erbe des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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seinem mosaikbesetzten Boden und glitt über das Antlitz von Hortensius hinweg wie Sonnenstrahlen über einen tiefen See.
    Der Zwerg lag aufgebahrt auf einem verzierten Sarkophag. Auf den ersten Blick hätte man meinen können, dass er schlief. Doch über seiner Haut lag der Schleier des Todes, dessen Gift seine Wangen grau verfärbt hatte, und sein Mund war zu einem Lächeln verzogen, das ihn der Welt entrückte. Es sah aus, als hätte der Zwerg hinter seinen geschlossenen Augen Bilder von unnennbarer Schönheit gesehen, Bilder von Dunkelheit und Licht, die man nicht beschreiben, nur erfühlen konnte, und wäre bei diesem Anblick zu einem Standbild des Todes geworden. Kein Lebender vermochte es, auf diese Art zu lächeln. Mia tunkte ihr Tuch in die Schale mit Wasser, die neben ihr auf einer der Bänke stand, und wusch Hortensius vorsichtig den Schmutz vom Gesicht. Sie spürte die schwere Kälte, die den Körper des Toten anfüllte, und ließ es zu, dass die Kühle sich auf ihre Wangen legte, während sie Hortensius auf seine Beisetzung vorbereitete. Die Schneekönigin war mit ihrem zerbrochenen Schiff davongeflogen und hatte ihn zurückgelassen. Sie hatte keine Verwendung für einen gefallenen Helden des Lichts.
    Sanft strich Mia Hortensius über die Schulter. Sie fühlte eine seltsame Verbundenheit zwischen dem gefallenen Ritter und sich selbst, die mit jedem Handgriff, durch den sie ihre Achtung bewies, noch verstärkt wurde. Hier lag der Letzte Ritter der Sterne, ein Außenseiter und Rebell in seinem Volk, der zu Lebzeiten große Heldentaten vollbracht hatte. Doch als Mia ihm das Haar kämmte, als sie ihn wusch und seine Kleidung von Blut und Schmutz befreite, dachte sie nicht an sein Leben als Ritter. Sie dachte daran, wie er mit Carven gesprochen, wie er den Jungen angesehen hatte, mit diesem warmen, liebevollen Blick, den er stets unter einer rauen Maske verborgen gehalten und der dennoch jedes Wort von ihm zu dem Jungen begleitet hatte. Hortensius war für Carven in den Tod gegangen. Ein Schauer flog Mia über den Rücken, als sie an den Schrei des Jungen dachte. Wie wahnsinnig vor Schmerz war er gleich nach ihrer Landung davongelaufen und seither verschwunden. Vermutlich verbarg er sich irgendwo in der Stadt, verzweifelt, weinend und hilflos. Grim hatte sich aufgemacht, um ihn zu finden, doch bisher schien er keinen Erfolg damit gehabt zu haben.
    Mia strich Hortensius das Haar aus der Stirn. Sie spürte, wie sich ihr Herz zusammenzog, als sie die Kälte unter seiner Haut fühlte und ihr bewusst wurde, dass er sie nie wieder ansehen würde — niemals wieder. Und während sich ihre Finger auf seine Brust legten und sie das Grauen ertrug, als sie anstelle des Herzschlags nur Stille wahrnahm, spürte sie den Schatten, der mit dieser Erkenntnis in ihr wuchs, einen Teil von ihr in Finsternis hüllte und mit sich ins Reich des Todes zog. Hortensius Palmadus Fahlon war gefallen. Sein Tod hatte ein Stück von ihr mit sich genommen und dort, wo früher Wärme und Geborgenheit gewesen waren, eine Finsternis aus Schmerz in ihr zurückgelassen. Langsam nahm sie seine Hand und legte sie auf ihr Herz. Vielleicht konnte er ihren Herzschlag fühlen, wo auch immer er jetzt sein mochte — und dann würde er wissen, dass er nicht allein war in der Dunkelheit.
    Leise knarrend öffnete sich das Eingangsportal der Kathedrale. Rotes Licht fiel auf den Mittelgang und umkränzte Jakobs Gestalt. Mia legte Hortensius' Hand auf seine Brust und begann, seine Finger vom Ruß des Schiffes zu reinigen, während Jakob auf sie zutrat. Seine Schritte knirschten auf den Scherben der zerbrochenen Fenster, die für einen Moment glitzerten wie Schnee. Schweigend warf er Mia einen Blick zu, als er den Sarkophag erreicht hatte. Sein Gesicht war bleich und verstärkte die Schwärze in seinen Augen, die seit Hortensius' Tod noch zugenommen hatte.
    »Du musst das nicht tun«, sagte er leise.
    Mia sah ihn nicht an. Sie konzentrierte sich auf Hortensius' Finger, jene Finger, die einst die Klinge Kirgans umschlossen hatten. »Ich möchte es«, erwiderte sie nur.
    Jakobs Blick glitt über Hortensius' Gesicht, dann streckte er die Hand aus und berührte das Amulett, das auf der Brust des Zwergs lag. »Die Königin hat gesiegt«, murmelte er.
    Mia zog die Brauen zusammen. Die Stille, die sie gerade noch umgeben hatte, wurde aufgewühlt wie ein See, in den man Steine wirft. Angestrengt versuchte sie, die Erhabenheit des Moments festzuhalten, doch Jakobs

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