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Grim - Das Erbe des Lichts

Grim - Das Erbe des Lichts

Titel: Grim - Das Erbe des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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ist jetzt nur noch, ob ich es allein tue.«
    Für einen Moment stand Jakob regungslos. Die Schwärze seiner Augen verschwand, sie sah ihn in einem Zimmer Fynturils, gefesselt am Dornenpfahl, sah die Dunkelheit und fühlte die Kälte, die ihm alles raubte, was er war — und hörte dann seinen Schrei, laut und durchdringend, als er das Licht in seinem Inneren zu voller Kraft entfachte und alle Schatten aus seinen Augen mit dem gleißenden Feuer in seiner Brust zurücktrieb. Langsam schlossen sich seine Finger um ihre Hand und nahmen ihr das Tuch ab. Und dann, schwach wie ein Lichtstrahl in tiefschwarzer Nacht, lächelte er.

Kapitel 49

    ie Gestalt des Jungen erhob sich wie eine Figur aus Wachs vor der dunklen Kulisse des Sees. Schwarz glimmende Rosen zierten die Wasseroberfläche, und von den umliegenden Bäumen hingen zarte Luftwurzeln der Bhor Lhelyn. Es war ein Anblick von verzaubernder Düsternis.
    Carven saß mit angezogenen Beinen auf den moosbewachsenen Steinen am Ufer, über die an regnerischen Tagen das Wasser des Sees trat und die für gewöhnlich nur von Enten und Schwänen bevölkert wurden. Jetzt hockte ein verzweifeltes Menschenkind auf ihnen herum, und Grim meinte fast, sie unter der Last dieser Bürde seufzen zu hören. Carvens Tränen waren schon lange versiegt, und doch schien es Grim, als würde die Luft auf der Haut des Jungen kälter werden, als strömte all seine Hilflosigkeit und Trauer aus seinem Körper in die Nacht. Wieder hörte Grim seinen Schrei, der die grausame Stille nach Hortensius'Tod zerrissen hatte — diesen Schrei haltloser Verzweiflung, der Grim bis in sein Innerstes gefahren war. Langsam ging er über die Wiese und ließ sich neben dem Jungen auf den Steinen nieder. Carven erschrak nicht von seinem plötzlichen Erscheinen, er sah ihn nicht einmal an. Es war, als hätte er gewusst, dass Grim ihn finden würde.
    »Als ich klein war, hatte ich einen Herzenswunsch«, sagte der Junge leise, und seine Stimme klang, als hätte man sie mit Tüchern aus Eis umwickelt. »Ich wollte einmal im Leben Weihnachten feiern, mit Tannenbaum und Kerzen in den Fenstern. Die Kinder in der Schule haben von ihren Festen erzählt, aber meine Eltern hatten für so etwas nichts übrig. Mein erstes Jahr bei Master Hortensius war hart, er hat mich ausgebildet, wie er es wohl auch mit einem zwergischen Lehrling getan hätte. Er war ruppig und kurz angebunden und hat mich nie, niemals gelobt, selbst wenn ich meine Arbeit gut gemacht hatte. Ich wusste lange Zeit nicht, was er überhaupt über mich denkt. Dann kam Heiligabend. Master Hortensius schien sich nichts aus diesem Tag zu machen, er schickte mich gleich frühmorgens mit zahlreichen Aufträgen in die Stadt. Stundenlang musste ich an festlich erhellten Fenstern vorbeilaufen, bis ich völlig durchgefroren und missmutig am Nachmittag wieder nach Hause kam — und da stand er, der größte und schönste Weihnachtsbaum, den ich jemals gesehen habe. Darunter lag ein Geschenk, es war dieses silberne Amulett mit dem Wappen der Buchbinder darauf, und Master Hortensius hat vor dem Kamin in seinem Sessel gehockt und mir zugelächelt, während ich mir die Kette umlegte. Ihm hat ein Fest der Menschen nichts bedeutet, aber er wusste, dass es mir wichtig war. Ich hatte nie ein Zuhause — bis zu diesem Tag. Master Hortensius hat mich aufgenommen, er hat mir alles beigebracht, was ich weiß, und ich ... ich habe ihn umgebracht.«
    Die letzten Worte trafen Grim so heftig, dass er zusammenfuhr. »So einen Unsinn habe ich noch nie gehört, selbst aus deinem Mund nicht«, erwiderte er grollend.
    Carven stieß verächtlich die Luft aus, eine Geste, die Grim bislang noch nie an ihm bemerkt hatte. »Ich habe versagt. Durch meine Schuld sind die Alben auf uns aufmerksam geworden, durch meine Schuld haben sie euch gefangen genommen, durch meine Schuld ist mein Meister gefallen. Wir haben alles verloren, das Schwert und mein Blut. Um die Waffe zurückzuerlangen, muss ich kämpfen — auch gegen die Alben. Wie soll ich das machen? Dafür reicht meine Magie nicht aus. Jetzt hat die Königin endgültig gewonnen. Ich bin nur ein Kind, genau wie du gesagt hast.«
    Grim starrte in das Spiegelbild seines Gesichts auf der Wasseroberfläche, ein regloses, steinernes Antlitz umgeben von tiefschwarzer Nacht. So hatte er Carven angesehen, abwehrend und mit kalter Dunkelheit in den Augen, und ihm Worte gesagt, die wie Gift in ihn eingedrungen waren. Er hatte schon den Mund geöffnet, um

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