Grim - Das Erbe des Lichts
dem Nebel. Für einen Moment sah Grim nichts mehr als goldenes Licht, die geisterhaften Farben der Zwergenmagie und Carvens Blick. Unverwandt schaute der Junge ihn an, seine Hand lag wie ein Blütenblatt in Grims Klaue. Grim fühlte wieder den Sand des Ufers Bythorsuls an den Füßen und sah, wie sich der Junge des Sees von ihm entfernte. Dann umfasste er Carvens Hand fester. Lautlos kam der Zauber über seine Lippen. Er spürte einen warmen Hauch, der sein Inneres durchzog wie ein Windstoß im Frühling, dicht gefolgt von einem Prickeln unter der Haut. Dann erloschen die Funken um sie herum, die Nebelfäden zerrissen, und Grim fand sich am Ufer des Sees wieder. Er sah Carven an, und auf einmal erkannte er sich selbst in seinen Augen — er sah den Jungen, der in der Hölle auf ihn gewartet hatte, sah sein ganzes menschliches Ich vereint in Carvens Blick. Er spürte, dass dieser Schritt mehr gewesen war als bloße magische Technik. Er hatte den Jungen in sein Herz gelassen. Niemals, das wusste er, würde er dieses Kind wieder gehen lassen können — und wenn es doch geschah, dann würde es alles mit sich nehmen, was Grims Menschsein begründete.
»Gegen die Königin können wir bestehen«, sagte er nachdenklich. »Doch es wird nicht leicht sein, zu ihr vorzudringen. Sie hat nicht nur eine Armee aus Feen, sondern vor allem die Alben auf ihrer Seite. Ich werde noch einmal mit den Anderwesen Ghrogonias sprechen und sie um Hilfe bitten. Vielleicht ...«
»Das wird nicht nötig sein.«
Grim erschrak so heftig, dass er aufsprang und die Faust zur Verteidigung hochriss. Schnell richtete er sie auf das Unterholz, aus dem die Stimme gekommen war. Carven kam neben ihm auf die Beine, atemlos spähten sie in die Dunkelheit des Parks und sahen, wie sich langsam ein steinerner Löwe zwischen den Bäumen hindurchschob.
Grim sog die Luft ein, als er Mourier erkannte, und hatte gerade den Mund geöffnet, um seiner Fassungslosigkeit Ausdruck zu verleihen, als hinter dem Löwen weitere Gestalten aus dem Unterholz traten. Grim erkannte einige Mitglieder der OGP, die regungslos auf den Jungen hinabschauten.
»Es hat doch sein Gutes, wenn der Polizeipräsident Ghrogonias nicht mit gewissen technischen Neuerungen umgehen kann«, sagte Mourier mit einem Lächeln. »Du hast deinen Pieper trotz deines Wutanfalls nicht ausgeschaltet. So haben wir alles mitangehört, von eurem Streit über die Gefangennahme bis hin zu den Plänen der Schneekönigin, und das Volk Ghrogonias hat beschlossen, den Senat in einer Sondersitzung noch einmal über eine Beteiligung der ghrogonischen Streitkräfte an diesem Kampf abstimmen zu lassen. In dieser Sitzung wurde die ursprüngliche Entscheidung revidiert. Die Armee Ghrogonias wird euch in dieser Schlacht zur Seite stehen. Wir werden nicht zulassen, dass ein solches Unrecht geschieht.«
Grim wollte etwas erwidern, aber in diesem Moment flammten Lichter in der Dunkelheit des Parks auf. Wie winzige Feuer entzündeten sie sich in der Nacht, und Grim meinte, sein Herz würde aussetzen, als ein goldener Hirsch hinter Mourier auf die Wiese trat.
»Die Menschen«, sagte Larvyn, denn niemand anderes war es, der nun vor ihnen stand, »sind meinem Volk fremd geworden. Sie sind nicht besser oder schlechter als ein anderes Übel, das über die Welt kommen mag, ob dies nun Feen seien oder Alben oder andere Schrecklichkeiten. Vor langer Zeit hat mein Volk daher beschlossen, sich nicht weiter in die Belange der Menschen einzumischen. Doch diese Zeit ist nun vorbei. Wir haben erfahren, was die Königin vorhat, und was noch wichtiger ist: Wir haben erlebt, mit welcher Kraft sich ein Menschenkind ihr entgegenstellte. Früher haben wir Elfen uns um die Menschen gekümmert, besonders um die Kinder, die die Königin nun für ihre Zwecke missbrauchen will. Doch Kinder sind mehr als Wesen aus Fleisch und Blut oder Träumen und Wünschen, mehr als Angehörige jener sterblichen Geschöpfe, die so viel Leid über so manches anderweltliche Volk gebracht haben. Kinder sind die Hoffnung, sie sind die Unschuld und das Leben — waren es immer schon und werden es immer sein. Andere Wesen mögen über große Kräfte verfügen, über Magie und Unsterblichkeit — doch in keinem anderen Geschöpf steckt eine solche Macht wie in den Kindern der Menschen: die Kraft des Ersten Lichts in seiner reinsten Form. Diese Macht kann gegen die größten Finsternisse bestehen, das hat dieser junge Krieger des Lichts uns bewiesen. In den Kindern der
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