Grim - Das Erbe des Lichts
liegt ein Kind«, sagte er leise und wie zu sich selbst. »Lange habe ich nichts davon gewusst, und dann, als ich von ihm erfahren habe, verstand ich seine Bedeutung nicht — ich habe sie nicht erfasst bis zu dem Augenblick, da ich dich auf dem fliegenden Schiff im Kampf mit der Schneekönigin sah. Denn dieses Kind ist mehr als meine Menschlichkeit. Es ist mehr als alles, was ich jemals sein werde, denn es geht weit über mich selbst hinaus. Es ist die Magie, die mich mit der Welt und die Welt mit allem verbindet, es ist der Zauber des Ersten Lichts, der alle Geschöpfe am Leben erhält, ob sie es nun fühlen oder nicht. Immer war es dieses Kind, das an dich glauben wollte — dieses Kind, das auch in dir wohnt und das deine wahre Stärke ausmacht. Dieses Kind ist das Erbe des Lichts, und es wird mich lehren, über dem Abgrund zwischen den Welten in meiner Brust zu schweben, ohne zu fallen. Dieses Kind stand auf dem Schiff der Königin inmitten der Dunkelheit und erblickte mit geschlossenen Augen das Licht in sich, den Kopf hocherhoben — mit einem Lächeln auf den Lippen.«
Carven sah ihn an, langsam lächelte er. Es sah aus, als glitte ein Sonnenstrahl über schneebedeckte Felder. Dann schüttelte er den Kopf. »Ich kann der Königin das Schwert nicht abnehmen.«
Grim stieß die Luft aus. »Und wieso nicht? Dein Meister hat es geschafft, die Waffe zurückzuerlangen, und er hat sie Morrígan abgenommen, der grausamsten Urfee dieser Welt. Warum sollte dir das nicht gelingen?«
Carven hob leicht die Schultern. »Die Schneekönigin ist so mächtig, und ich bin ...«
»... du bist der Krieger des Lichts«, beendete Grim seinen Satz. »Und du brauchst nicht das Schwert Kirgans dazu, um es zu sein. Du trägst das Erbe großer Krieger in dir, aber du selbst kannst stärker sein als jeder von ihnen. Du kannst als Held von diesen Steinen aufstehen, den Kopf heben und sagen: Ich werde meinen Weg gehen, ganz egal, wer oder was sich mir in den Weg stellt — weil ich es kann! Du musst an das glauben, was du auf dem Schiff der Königin gezeigt hast: dass es richtig ist, für das Gute zu kämpfen, gegen jede Übermacht der Welt. Du verfügst über Kenntnisse der höheren Magie, wenn es wahr ist, was dein Meister gesagt hat. Ich habe dich kämpfen sehen. Du bist besser ausgebildet als mancher Rekrut der OGP. Alles, was dir fehlt, um der Königin das Schwert abzunehmen, ist Zuversicht — und ein bisschen mehr Magie.«
Er holte tief Atem und streckte die Klaue aus. Leise murmelte er einen Zauber, goldene Funken liefen über seine Finger, umschmeichelten seine Handfläche und fielen zischend ins schwarze Wasser. Die Luft flackerte kaum merklich unter dem Einfluss der höheren Magie. Fasziniert schaute Carven auf die Funken auf Grims Klaue.
»Dein magisches Potenzial ist für einen Menschen beachtlich«, fuhr Grim fort. »Doch gegen die Schneekönigin wird es nicht ausreichen. Wenn wir aber unsere Kräfte verbinden, kannst du im Kampf gegen sie auf mein Potenzial zurückgreifen, falls deines sich erschöpfen sollte oder du einen besonders mächtigen Zauber wirken musst. Du kannst dann über größere Macht gebieten, die du brauchst, solange du das Schwert noch nicht wieder in den Händen hältst. Gemeinsam können wir es zurückerlangen.« Er wandte den Blick von den Funken auf seiner Klaue ab und sah Carven an. »Doch eines musst du wissen. Wenn wir unsere Potenziale verbinden, können wir unsere Kraft gegenseitig bis zum Letzten aufbrauchen. Wir können einander töten. Daher sollten wir diesen Schritt nur gehen, wenn wir uns vertrauen.«
Goldene Lichter flammten über das Gesicht des Jungen, und seine Augen wirkten für einen Moment vollkommen schwarz. Es war, als würden die Funken in ihrer Finsternis erlöschen. Dann streckte er die Hand aus, Grim hörte, wie der Zauber über seine Lippen kam. Mit leisem Zischen entstand der Drache auf Carvens Hand, gebildet aus den farbigen Schleiern der Zwergenmagie, und strich in nebelhaften Bewegungen über Carvens Finger. Langsam hob der Junge den Kopf und sah Grim an. In seinen Augen war kein Zweifel, kein Schatten mehr, und als er kaum merklich nickte, lag ein Lächeln auf seinen Lippen.
Wortlos ergriff Grim seine Hand. Der Drache sprang über seinen Arm, raste über seinen Körper zurück zu Carven, wurde immer schneller, bis seine Bewegungen als farbige Nebelfäden in der Luft standen und Grim und den Jungen umhüllten. Die Funken stoben auseinander und vermischten sich mit
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