Grim - Das Erbe des Lichts
ist unsere Aufgabe, die Artefakte zu beschützen. Es hätte nicht viel gefehlt und wir hätten diesen Menschen die Hälse gebrochen — Josi und Cecile Lavie, Menschen, die nicht befugt sind, die magischen Eingänge in den Louvre zu benutzen und die das Passwort gar nicht kennen dürften.«
Mia sah den Schatten, der sich in seinem Blick verfangen hatte. Sie wusste, dass die Gargoyles sie selbst einigermaßen akzeptiert hatten — doch bei ihrer Mutter und Josi sah die Sache anders aus. Beide waren keine Hartide, und das Misstrauen, das im Volk der Gargoyles seit Jahrhunderten in Bezug auf die Menschen bestand, flammte mit kalter Dunkelheit in den Augen der Schattenflügler auf.
»Was steht der Abfalleimer auch mitten im Weg«, erwiderte Josi. »Beinahe hätte er das mit den gebrochenen Menschenhälsen auch ganz gut hinbekommen.«
Der Schattenflügler sog die Luft ein, doch Mia hob beschwichtigend die Hände. »Ich hätte das Passwort des Eingangs nicht weitergeben dürfen, es tut mir leid. In Zukunft werden solche Spontanbesuche nicht mehr vorkommen.«
Die Gargoyles maßen Josi mit ihren Blicken. Sie nickte, aber ihr Grinsen wurde noch etwas breiter, als die Schattenflügler sich in Richtung des Ausstellungsraumes entfernten. »Ich finde, dass Vraternius recht hat«, sagte sie leise. »Diese Steinköpfe haben wirklich nicht sonderlich viel Sinn für Humor.«
Mia seufzte. »Ihr habt mich wirklich zu Tode erschreckt. Aber es ist schön, dass ihr da seid — eine kleine Pause kann ich gut gebrauchen. Und wenn ihr die Kunstgegenstände des Louvre wirklich unbedingt bei Nacht sehen wollt — nun ja, vielleicht habe ich dann die Gelegenheit, mich für den Schreck zu revanchieren.«
Sie grinste diabolisch, hakte sich bei ihrer Mutter und Josi ein und führte die beiden in den ersten Stock. Gerade hatten sie die ersten Stufen einer Treppe genommen, als ein Rauschen die Luft erfüllte. Mia blieb stehen, sie fühlte die Magie, die aus den Schatten der Korridore strömte, während ihre Mutter und Josi erschrocken die Köpfe einzogen. Da brach eine Gestalt durch die Dunkelheit, eine Figur aus hellem Marmor mit gewaltigen Flügeln und einem Gewand, das sich wie im Sturmwind an den weiblichen Körper schmiegte. Mit letztem Schwingenschlag landete die Nike von Samothrake auf ihrem Sockel, und Mia meinte für einen Augenblick, in dem Nichts über ihrem Hals das Gesicht einer Göttin zu erblicken. Gleich darauf legte sich das Rauschen in der Luft, und die Statue stand regungslos. Mia verzog den Mund zu einem Grinsen, als sie die aufgerissenen Augen Josis und ihrer Mutter sah, und setzte ihren Weg fort.
Gemeinsam betraten sie die Gemäldesammlung des Denon-Flügels. Mia spürte, dass ihre Begleiterinnen die Luft anhielten, als sie zum ersten Mal eine Bewegung in den Bildern bemerkten, und sie lachte, als sie das Gemälde
Salbung Napoleons und Krönung Josephines
passierten und der Marschall Berthier, der das Kissen mit dem Reichsapfel trug, schwungvoll seinen Umhang zurückwarf und Tante Josi am Arm traf. Erschrocken schrie sie auf, woraufhin Berthier sich flüsternd entschuldigte. Mit einem verzauberten Lächeln wischte Josi sich über den Arm, an dem Berthiers Mantel dunkle Ölfarbe hinterlassen hatte.
Dann erreichten sie den Salle des Etats, einen der Prunksäle des Louvre, und dort — hinter einem kugelsicheren Glaskasten — prangte
La Joconde:
die Mona Lisa von Leonardo da Vinci. Menschen auf der ganzen Welt waren fasziniert von diesem Kunstwerk, ohne sagen zu können, aus welchem Grund. Dennoch gab es zahlreiche Erklärungsversuche: So hätte da Vinci zwei verschiedene Fluchtpunkte benutzt — einen für den Hintergrund, einen für die Figur, um eine besondere Wirkung zu erzielen, und den zu seiner Zeit revolutionären Silberblick dargestellt, der den Eindruck vermittelte, dass die Mona Lisa dem Betrachter mit ihren Blicken folgen würde, ganz gleich, wo er sich gerade befand. Auch das rätselhafte Lächeln, das viele Menschen irritierte, wurde auf verschiedenste Weise erklärt: Die Vermutungen reichten von einer Schwangerschaft über Anzeichen von Krankheiten bis hin zu einer Fazialisparese, einer Gesichtslähmung. Mia lächelte düster. Eines Tages würden die Menschen erfahren, was es mit diesem Bild auf sich hatte — und dass dieser gläserne Kasten keineswegs zur Sicherheit der Mona Lisa angebracht worden war, sondern im Gegenteil zum Schutz ihrer Betrachter.
Wortlos führte Mia ihre Mutter und Josi an das Bild
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