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Grim - Das Erbe des Lichts

Grim - Das Erbe des Lichts

Titel: Grim - Das Erbe des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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eine Chance. Mia schob sich rückwärts gegen die Wand, ihre Hände glitten über den eisbezogenen Boden. Alvarhas war noch einige Schritte von ihr entfernt, doch er hatte es nicht eilig. Er lächelte wie ein Panther, der sich bereits satt gefressen hatte und nun mit dem letzten Lamm der Herde spielen wollte. In der linken Hand hielt er sein Rapier, Mia fühlte wieder die Spur, die die Waffe über ihre Haut gezogen hatte. Atemlos sah sie Alvarhas in die Augen, diese gleichgültigen, glühenden Scherben aus Dunkelheit. Er würde sie töten, das war ihr plötzlich klar, deswegen war er gekommen, und er hatte noch nie eines seiner Opfer verfehlt. Sie konnte gegen ihn kämpfen, doch gewinnen — nein, das würde sie nicht. Diese Gewissheit traf Mia mit solcher Wucht, dass ihr der Atem stockte. Doch im selben Moment spürte sie Widerwillen in sich, mehr als das: Entschlossenheit, das Schicksal, das Alvarhas ihr angedeihen lassen wollte, nicht anzunehmen. Sie fühlte die Magie, die von ihm ausging. Es war fremde, eigentümliche Magie, die mit seltsamen Stimmen begann, nach ihr zu rufen, und sie wusste, dass sie schon sehr bald nicht mehr fähig sein würde, sich zu bewegen.
    Bereits jetzt fiel es ihr schwer, die rechte Hand zu heben und sich an der Wand hochzuschieben. Raureif splitterte von ihren Fingern ab, ihre Glieder waren steif und kalt.
Das Floß der Medusa
hatte seine Besatzung verloren, doch nun, da Mia mit dem Rücken vor dem Bild stand, hörte sie das Rauschen der sturmgepeitschten Wellen. Sie roch die Luft des Meeres und fühlte, wie die Wogen sie innerlich emporhoben. Wasser war ihr Element. Mit klopfendem Herzen presste sie ihre rechte Hand gegen das Bild. Fast meinte sie, das Tosen des Sturms zu fühlen, der hinter der Leinwand gegen ihre Finger drängte.
    Alvarhas hatte sie fast erreicht. Ein Funkeln ging durch seinen Blick, als er den Zauber hörte, der nun mit leisem Triumph über ihre Lippen kam. Da sprang er vor, so schnell, dass sie seine Bewegungen nicht verfolgen konnte — und doch zu spät. Mit einem Schrei spreizte Mia die Finger und riss ihre Hand vom Gemälde zurück. Krachend brach sich das Meer seinen Weg aus der Welt der Schattenbilder, riss das Floß mit sich und ergoss sich mit brutaler Gewalt auf Alvarhas. Mia selbst wurde von den Wellen umtost, doch das Wasser berührte sie nicht. Die Wellen erhoben sich um sie herum wie glitzernde Stücke des Nachthimmels. Sie sah noch, wie Alvarhas von den Fluten umgerissen wurde — dann rannte sie los.
    Das Wasser machte ihr Platz, während sie die Gemäldesammlung entlangrannte, doch gerade als sie die Treppe ins Erdgeschoss erreicht hatte, erhoben sich graue Flammen auf den Stufen, die gierig nach ihr griffen und ihr ein Durchkommen unmöglich machten.
    »Flieh!«, drang Alvarhas' Stimme durch die Fluten des Meeres, die langsam zur Ruhe kamen und sich in dunklem Nebel auflösten. »Flieh vor mir, Menschenkind!«
    Mia spürte seine Stimme wie einen Schwarm Messer an ihren Wangen vorbeifliegen. Gehetzt rannte sie durch die Galerie Campana, doch Alvarhas war ihr bereits auf den Fersen und jagte brennende Pfeile hinter ihr her, während sie wie ein Kaninchen im Slalom um die Vitrinen mit den kostbaren griechischen Vasen herumrannte. Die Glaskästen zersprangen unter Alvarhas' Zaubern, Mia hörte ihn lachen, als einer seiner Pfeile sie an der Schulter traf. Ein stechender Schmerz durchzuckte sie, warm lief das Blut über ihren Arm. Der Heilungszauber, den sie durch ihren Körper schickte, konnte Alvarhas' Magie kaum zurückdrängen. Schwer atmend stürzte Mia auf die Treppe zu — und konnte sich erst im letzten Augenblick vor einem Fall in die plötzlich auflodernden Flammen bewahren. Keuchend taumelte sie zurück.
    Alvarhas genoss es, sie wie ein Tier zu hetzen, das spürte sie. Bald schon würde er sie in eine Sackgasse treiben und dann ... Mia stieß die Luft aus. So einfach würde sie es ihm nicht machen. Entschlossen sprintete sie durch die Ausstellung der ägyptischen Altertümer, vorbei an der Sandsteinbüste des Echnaton und am berühmten
Sitzenden Schreiber,
bis sie das Messer vom
Gebel-el-Arak
erreichte. Abrupt blieb sie stehen, stieß die Faust vor und durchschlug das Glas der Vitrine. Ihr Schutzzauber war nur halbherzig gewesen, und so zerschnitt sie sich die Finger, aber sie achtete kaum darauf. Atemlos packte sie das Messer. Es bestand aus Feuerstein und Elfenbein und war offiziell eines der ältesten Objekte der prädynastischen Periode.

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