Grim - Das Erbe des Lichts
kristallene Funken glommen darin wie Juwelen, die man auf ein Tuch aus Dunkelheit geworfen hatte. In diesen Augen, das wusste er, lagen Tod und Verderben für jeden, der sich in ihnen verlor, und kaum hatte er das gedacht, wusste er, wen er vor sich hatte: Denn ein Makel lag in ihren Augen, diesen Augen, die ihn nicht mehr losließen, ein Makel, der nur einem Volk anhaftete, das die Welt der Menschen vor langer Zeit verlassen hatte. In den Augen der Frau spiegelte sich nichts, und Grim wusste: Vor ihm stand eine Fee.
Er zwang sich, seinen Blick von diesen Augen abzuwenden, schaute hinüber zu den Gefährten der Fremden und fand seinen Verdacht bestätigt. Er zählte um die hundert Gestalten — und alle waren Feen. Zwei von ihnen traten nun vor und setzten der Frau mit den schneeweißen Haaren eine Krone aufs Haupt. Die Alben neigten den Kopf, auch die Feen senkten ehrfurchtsvoll den Blick.
Lyskian berührte Grims Schulter und deutete auf den Hals der Fremden. Sie trug ein Amulett mit einer blauen, zu Eis erstarrten Flamme.
Sie ist im Besitz des Zaubers, mit dem die Schattenalben einst verbannt wurden,
hörte er die Stimme des Vampirs in seinem Kopf.
Sie ist die Königin der Feen.
Grim holte Atem, ein seltsamer Zauber griff ihm ans Herz, als er für sich wiederholte, was er gerade erfahren hatte: Das Volk der Feen hatte sich vor langer Zeit aus der Welt der Menschen zurückgezogen. Nun war es zurückgekehrt. Doch aus welchem Grund?
Ein markerschütternder Schrei zerriss Grims Gedanken. Erschrocken sah er zum anderen Ende der Höhle und erkannte einen Menschen, einen jungen, dunkelhaarigen Mann, der barfuß und nur mit einer Hose bekleidet von zwei Alben vorwärts getrieben wurde. Tränen liefen über seine Wangen, und Grim konnte die Panik fühlen, die wie eine Welle aus schwarzen, erstickenden Tüchern durch die Höhle auf ihn zuraste. Auf dem Platz vor dem Thron versetzte einer der Alben dem Mann einen Tritt in den Rücken, worauf dieser auf die Knie fiel. Grim bemerkte die blutigen Striemen, die über seine Brust liefen. Da setzte die Feenkönigin sich in Bewegung, und als Grim ihr Gesicht sah und diesen kalten und zugleich todesgierigen Ausdruck in ihrem Blick, ballte er die Klauen. Er konnte nicht zulassen, dass sie den Jungen tötete, er musste ...
In diesem Moment packte ihn etwas Eisiges an der Schulter und riss ihn mit solcher Gewalt zurück, dass ihm der Atem stockte. Er wurde auf den Rücken geschleudert, jemand umfasste seine Kehle und schob sein Gesicht dicht vor Grims Augen.
Lyskian.
Narr,
raunte der Vampir in Grims Gedanken.
Du wirst uns alle umbringen, wenn sie dich bemerken. Der Junge ist tot — du kannst nichts mehr für ihn tun.
Grim griff nach Lyskians Hand. Es gelang ihm, sich umzudrehen, doch der Vampir drückte ihn gegen den Hügel und ließ ihn nicht frei. Atemlos wandte Grim den Blick und sah, wie die Feenkönigin vor den jungen Mann hintrat, sein Kinn mit ihrem bloßen Willen anhob und ihn zum Aufstehen zwang. Zitternd stand der Mensch vor ihr, Grim sah die Furcht in seinem Blick. Noch einmal wehrte er sich gegen Lyskians Griff. Doch dann geschah etwas, das ihn lähmte, etwas, das ihm auf der Stelle jede Hoffnung nahm. Er sah, wie das Leben die Augen des Jungen verließ, seine Furcht, sein Menschsein, sein ganzes Ich, und stattdessen überflutete Kälte seinen Blick, die mit seltsamer Macht auf Grim überging, als die Feenkönigin ihre rechte Hand um die Kehle des Menschen legte. Für einen Augenblick meinte Grim, den Pulsschlag des Jungen in seiner eigenen Klaue zu fühlen, er riss an Lyskians Arm, aber die Finger des Vampirs gruben sich in seine Schulter und schickten eine Kälte durch seinen Körper, sodass Grim sich kaum noch rühren konnte. Erst wenige Male in seinem Leben hatte er eine solche Kraft gespürt: im Kampf mit mächtigen Dämonen. Da beugte sich die Königin vor und küsste den jungen Mann. Grim sah, wie blaue Eiskristalle über ihre Lippen sprangen. Reglos hing der Mensch in ihren Armen, es war ein fast zärtliches Bild. Doch ihm rann Blut aus dem Mundwinkel, es lief wie ein Strom aus Tränen aus seinen Augen und die Wangen hinab. Grim sah den grauen Schleier des Todes über die nackte Haut seines Oberkörpers ziehen, während das Blut sich in das schneeweiße Gewand der Königin ergoss, die ihn aussaugte wie eine Spinne ihr Opfer. Grim schloss die Augen. Für einen Moment meinte er, den Herzschlag des Menschen in der Höhle widerhallen zu fühlen.
Dann war es
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