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Grim - Das Erbe des Lichts

Grim - Das Erbe des Lichts

Titel: Grim - Das Erbe des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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mehreren Stellen abgerissen und von Kleberesten übersät. Früher hatten unzählige Bilder an diesen Wänden gehangen. Mia holte Atem, etwas in ihrer Brust schmerzte, und sie schloss die Augen. Rote Lichter tanzten hinter ihren Lidern wie Sonnenstrahlen oder Flammen. Sie war krank, der Angriff von Alvarhas hatte sie krank gemacht. Sie war einer Wahnvorstellung nachgelaufen.
    Da hörte sie ein Geräusch. Kaum mehr als ein Flüstern war es, eine Ahnung, die sie die Augen öffnen und weiter ins Zimmer treten ließ. Unterhalb des Fensters stand, halb zerbrochen und blind, ein alter Spiegel. Mia erinnerte sich an ihn, er hatte lange Zeit in Jakobs Badezimmer gehangen und war beim Zusammenräumen seiner Sachen beschädigt worden. Das Fieber kroch mit glühenden Wüstenklauen durch Mias Schläfen, als sie sich vor ihn auf den Boden hockte.
    Mia,
flüsterte eine Stimme, die auf einmal jeden Winkel des Zimmers durchdrang wie ein plötzlich aufkommender Wind.
Ich bin es. Das ist kein Traum.
    Mia hielt den Atem an. Es war Jakobs Stimme, die da zu ihr sprach — und sie schien aus dem Spiegel zu kommen Hinter dem nebelhaften Glas stand eine Gestalt, sie konnte die schmalen Konturen erkennen, das blonde Haar und die tiefen, dunklen Augen. Mit zitternder Hand berührte sie den Spiegel. Das Glas schimmerte auf, es wurde klar — und vor ihr, auf der anderen Seite des Spiegels, stand Jakob.
    »Was geschieht hier?«, flüsterte Mia fassungslos.
    Jakob lächelte ein wenig.
Es ist ein Zauber,
erwiderte er.
Dein Zustand hat es mir ermöglicht, dich auf der Schwelle zur Dämmerwelt zu erreichen — einer der Welten, die nahe an jener Welt liegt, in der ich mich befinde. Ich weiß, dass du geglaubt hast, dass ich zurückgekehrt bin in die Welt der Menschen — doch gänzlich ist es mir nicht gelungen. Mein Körper und Teile meines Geistes haben mein Grab verlassen, aber mein Ich, mein ganzes Selbst ist hier gefangen. Du siehst mich in einem Spiegel, denn Spiegel sind Augen in dieser Welt.
    Mia hörte ihm zu, sie wollte etwas erwidern, doch ihre Zunge lag reglos und glühend in ihrem Mund. Sie fühlte die Fieberschübe, die ihren Körper durchpulsten. Lodernde Feuer strichen über ihre Haut, dicht gefolgt von Winden aus Eis. Jakob schaute sie an, sie sah die Erschöpfung und die Sorge in seinem Blick.
    Ich habe dich gesehen,
sagte sie in Gedanken.
In einem Wunschglas. Dort hast du mich vor etwas warnen wollen, und am Ende wurdest du ...
Sie stockte.
Jakob,
flüsterte sie dann.
Bist du in Gefahr?
    Jakob holte Atem, es war, als müsste er die Worte mit Gewalt auf seine Lippen bringen.
ja,
erwiderte er leise.
Das bin ich.
Erschrocken fuhr er zusammen, als hätte er ein Geräusch gehört, das für Mia nicht wahrnehmbar war.
Erinnerst du dich an unsere letzte Begegnung?,
fragte er angespannt.
jene in der Zwischenwelt? Du fragtest mich, ob ...
    ... ob du zurückkehren kannst,
erwiderte Mia. Für einen Moment stand sie wieder am Rand des Abgrunds, an dem sie sich von ihrem Bruder verabschiedet hatte — jenem Abgrund, der sie voneinander trennte.
    Jakob nickte kaum merklich.
Ich bin einen weiten, einen sehr weiten Weg gegangen,
sagte er, und sie konnte hören, dass er um Fassung rang.
Ich schaffe es nicht allein — doch wenn du mir hilfst, kann ich zurückkehren in deine Welt.
    Mia sah ihren Bruder an, und kurz meinte sie, einen Schatten in seinem Blick zu bemerken, etwas Fremdes, das sie noch nie zuvor darin gesehen hatte. Doch dann spürte sie, wie ihr Tränen in die Augen traten, sie liefen über ihre fiebrigen Wangen wie Regentropfen über heiße Steine. Hatte sie erwartet, dass er unverändert zu ihr zurückkehren würde? Wer konnte wissen, welchen Schrecknissen er begegnet war, welche Albträume er erlebt hatte auf seinem Weg? Er sah ausgezehrt und erschöpft aus, seine Wangen waren eingefallen und seine Lippen rissig und aufgesprungen, aber ein Lächeln blühte auf seinem Gesicht, dieses Lächeln, das sie immer am meisten an ihm geliebt hatte, und jetzt, da er die Hand nach ihr ausstreckte, wollte sie nur noch eines: den verfluchten Spiegel zerbrechen und ihren Bruder in die Arme schließen, den sie vor scheinbar endlos langer Zeit verloren hatte und der ihr fehlte, so sehr, dass es wehtat.
    Da fuhr Jakob zusammen, als hätte ihn ein heftiger Schlag getroffen. Gehetzt sah er sie an.
Schnell, Mia! Du musst mich befreien, ehe sie mich finden! Wiederhole die Worte, die ich spreche, wiederhole sie klar und deutlich!
    Dunkel rollte der Zauber

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