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Grim - Das Erbe des Lichts

Grim - Das Erbe des Lichts

Titel: Grim - Das Erbe des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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Brustkorb schmerzte, als wäre sie mit einem Schwert verwundet worden, obgleich sie keine äußeren Verletzungen hatte. Wieder hörte sie Alvarhas' Stimme, leise und betörend wie der Ruf eines Nachtvogels, und sie klang so real, dass Mia erschrocken zusammenfuhr. Vermutlich hatten ihre Verfolger den Louvre inzwischen ebenfalls verlassen. Sie würden sie finden — schon bald, wenn sie sich nicht beeilte, und dann würden sie beenden, was sie beim ersten Mal nicht geschafft hatten.
    Gerade wollte sie ihren Weg fortsetzen, als sie in einiger Entfernung eine Gestalt die Straße überqueren und in einer Seitengasse verschwinden sah. Für einen Moment setzte ihr Herzschlag aus. Sie starrte an die Stelle, an der die Person verschwunden war, dann stieß sie sich von der Hauswand ab und folgte ihr. Sie spürte kaum die Schneeflocken, die auf ihr Gesicht fielen und an ihren Wimpern hängen blieben, fühlte auch den Schmerz in ihrer Brust nicht mehr und achtete nicht auf den Schwindel, der mit hartnäckiger Boshaftigkeit die Straße zum Schwanken brachte. Taumelnd erreichte sie die Stelle, an der die Person verschwunden war, schaute die Straße hinab — und sah einen jungen Mann mit blonden, zerzausten Haaren, der sich in raschen Schritten von ihr entfernte. Mia fuhr sich über die Augen.
Das ist ein Traum,
dachte sie, doch sie wusste, dass sie wach war.
    Vor ihr auf der Straße lief Jakob.
    Sie wollte ihm hinterherrufen, doch er ging schnell, und der Verkehr donnerte lautstark an ihnen vorüber. Eilig lief sie ihm nach, sie vergaß jede Schwäche und jeden Schmerz. Sie dachte und fühlte nichts mehr bis auf eines: Jakob war wieder da.
    Rasch folgte sie ihm, beständig von der Angst getrieben, dass er wieder verschwinden könnte. Die Schmerzen in ihrem Brustkorb machten ihr das Atmen schwer, und der Schwindel legte sich mit solcher Hartnäckigkeit in ihren Nacken, dass sie nicht sagen konnte, wie lange sie Jakob gefolgt war, bis er vor seiner alten Wohnung stehen blieb. Mia selbst hatte sie ausgeräumt, damals, als er verschwunden war, doch sie befand sich noch immer im Besitz ihrer Familie. Ihr Vater hatte sie zu seinen Lebzeiten gekauft, und eine Weile hatte Mias Mutter darüber nachgedacht, nach Jakobs Verschwinden alles so zu lassen, wie er es zum letzten Mal gesehen hatte. Doch Mia hatte den Gedanken an ein Museum für Jakob nicht ertragen können. Sie wollte ihren Bruder zurückhaben — nicht seine Sachen, um sie anzustarren und ihn noch mehr zu vermissen, als sie es ohnehin schon tat. Jakobs Wohnung war ohne ihren Bruder nicht mehr als ein Raum mit allerhand Kram gewesen.
    Doch jetzt war er zurück. Sie sah, wie er im Eingangsbereich des Hauses verschwand. Schnell eilte sie ihm nach — und fand die Tür verschlossen. Sie zog die Brauen zusammen, als sie die schneebedeckte Türklinke sah. Wie hatte Jakob sie geöffnet, ohne sie zu berühren? Mia konnte keinen Anflug von Magie fühlen. Schnell sprach sie einen Zauber und drückte die Tür auf.
    Das Treppenhaus war dunkel, als Mia bis ins Dachgeschoss hinaufstieg. Ihr Herz schmerzte vor Anstrengung, sie spürte, wie ihre Wangen anfingen zu glühen. Hätte sie es nicht besser gewusst, hätte sie geglaubt, Fieber zu haben. Ihre Hand glitt über das kühle Holz des Geländers — erschrocken zog Mia sie zurück. Das Geländer war eiskalt. Sie wischte sich über die Stirn, Schweißperlen blieben an ihren Fingern haften. Sie
hatte
Fieber. Schon spürte sie, wie ihre Beine schwer wurden, die Dunkelheit des Treppenhauses flog in schmutzigen Schlieren an ihren Augenwinkeln vorüber. Atemlos zog sie sich am Geländer weiter nach oben, bis sie vor der grünen Tür zu Jakobs Wohnung stand. Einen Moment hielt sie inne. Was, wenn sie sich doch geirrt hatte? Sie fieberte — was, wenn alles eine Illusion gewesen war? Aber sie hatte das Grab gesehen — es war leer gewesen. Und wenn es einen anderen Grund dafür gab? Ehe der Gedanke sie lähmen konnte, trat sie zweimal gegen die Tür, um sie zu öffnen.
    Mit stockendem Atem betrat sie den kleinen Flur und roch ihn sofort: den Duft von alten Büchern und Petroleum, der immer Jakob für sie gewesen war und der diese Wohnung niemals verlassen hatte. Sie schaute auf den Boden, der mit Staub bedeckt war. Keine Fußspuren liefen darüber hin. Mia spürte die Enttäuschung durch die Hitze ihres Fiebers dringen, als sie sich ins Innere der Wohnung schob. Sie lehnte sich an den Türrahmen und betrachtete das leere Zimmer. Die Tapeten waren an

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