Grim - Das Erbe des Lichts
schwindet schnell.«
Ein erschrockenes Raunen klang aus den Reihen der Thoronmenschen, als hätten sie die Norne verstanden. Mia sah zu ihnen hinüber, aber sie standen nur da, eine reglose Wand aus menschlichen Leibern mit dunklen Augen voller Angst. Milo trat zu ihnen, seine Lippen zitterten, als wollte er etwas sagen, doch auch er blieb stumm.
Vraternius fuhr sich über die Haare. »Mein Zauber kann nicht seine volle Kraft entfalten«, murmelte er. »Ich konnte die Macht der schädlichen Magie vernichten, aber eine Heilung will mir nicht gelingen.«
»Es ist die Welt der Menschen«, flüsterte Mia. »Seht euch seine Wunde an: Es ist, als würde eine böse Macht ihn aufzehren. Jetzt, da er verwundet wurde, setzt diese Welt ihm so stark zu, dass er sich nicht gegen sie wehren kann.«
Grim warf Vraternius einen Blick zu. »Kannst du ihn nicht schützen?«
Der Gnom schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Erfahrung mit der Heilung einer Fee. Er muss sich selbst helfen — keine Medizin könnte einer Fee das Leben retten, außer ihre eigene: Feenmagie.«
Das Wort traf Mia wie ein Schlag ins Gesicht. »Er braucht das Licht!«, rief sie. »In der Engelsburg habe ich gesehen, wie er in das Licht gegangen ist, und es hat ihn geheilt! Wir müssen seinen Saal finden, den Saal mit dem Pentagramm!«
Grim trat auf die Thoronmenschen zu, die sich erschrocken zusammendrängten. »Wo ist dieser Raum?«, fragte er, und Mia konnte hören, dass er sich zwingen musste, um ruhig zu sprechen. Sie lief zu ihm, flehend sah sie in die ängstlichen Gesichter und erschuf wortlos ein Hologramm von dem Pentagramm, wie sie es in Erinnerung hatte. Ein Raunen ging durch die Reihe, und Milo nickte kaum merklich.
»Helft uns«, flüsterte sie behutsam und ging auf ihn zu. »Wenn ihr uns nicht sagt, wo der Raum ist, wird Theryon sterben!«
Da setzte Mio sich in Bewegung. Mit schlaksigen Bewegungen lief er zur Tür und schaute abwartend zurück. Unbeholfen deutete er den Gang hinab und sagte etwas, das Mia nicht verstand.
»Los«, sagte sie. »Er wird uns hinführen!«
Grim hob Theryon auf seine Arme, es sah aus, als würde er einen Toten tragen. Mia spürte ihren Herzschlag wie einen fleischigen Brocken in ihrer Kehle, als sie hinter Milo hereilte, quer durch alchemistische Räume und Schlafsäle, bis sie endlich vor einer schwarzen Metalltür stehen blieben. Zögernd deutete Milo darauf. Mia öffnete die Tür — und stieß einen Laut der Erleichterung aus, als sie die Öffnung in der Decke sah, die sich über einem Pentagramm auf dem Boden erhob. Vereinzelte Fackeln an den Wänden erhellten das ovale Zimmer mit mehreren Holztischen, dessen Wände bis hinauf zur Decke von reich verzierten Bücherregalen verdeckt wurden. Drei Türen zweigten von dem Raum ab, ebenso wie ein schmaler Gang, dessen Wände ebenfalls mit Büchern und Schriftrollen bedeckt waren. Doch Mia hatte für diese kunstvolle Bibliothek keinen Blick übrig. Auf ihr Zeichen hin legte Grim Theryon in dem Pentagramm nieder. Der Feenkrieger sah aus wie ein gefallener Held.
Mia griff nach Grims Arm, angespannt schaute sie auf Theryons Gesicht. Und da brach Licht durch die Öffnung in der Decke, warmes, goldenes Licht, das sanft auf Theryons Körper fiel. Es hob ihn in die Luft, Mia spürte den Wind in ihrem Haar, doch anders als bei ihrer ersten Begegnung mit diesem Wirbel wurde kein Sturm daraus, und das Licht fraß Theryon nicht das Fleisch von den Knochen. Behutsam ließ es den Krieger in seinem Schein schweben.
»Vor dem Fall in den Abgrund des Todes wurde er bewahrt«, raunte Vraternius und deutete auf die Wunde in Theryons Brust, die langsam zu heilen begann. »Doch niemand weiß, wann er den Weg zurück ins Leben gehen wird — und ob er es überhaupt tut.«
Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, bildete sich aus dem Licht eine halb durchscheinende Gestalt. Es war eine Fee in einem langen Kleid, das sich wie in sanftem Wind bewegte. Langes, dunkles Haar umrahmte ein schmales, beinahe zartes Gesicht. Geisterhaft legte die Fee ihre Arme um Theryons Hals, und er lehnte seinen Kopf an ihre Schulter, als wäre sie mehr als goldenes Licht.
»Wer ist das?«, flüsterte Mia fasziniert.
Da trat Mio neben sie. Ein warmer Glanz war in seine Augen getreten, als er die Szene betrachtete, und als er Mia ansah, glitt ein Lächeln über sein Gesicht — wie das Lächeln von jemandem, dem dieses Anzeichen der Freude noch ungewohnt erschien. Er bewegte die Lippen, Mia sah, dass sich
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