Grim - Das Erbe des Lichts
ihre Schergen sind der Macht der Grenze entgangen, da sie durch die Zwischenwelt in die Welt der Menschen kamen. Doch wenn die Grenze neu errichtet wird, dann wird sich ihr Zauber auch auf die Schneekönigin auswirken und auch sie — ebenso wie alle anderen Feen — in ihre Welt zurücktreiben. Denn dafür wurde die Grenze einst errichtet: um Feen- und Menschenwelt für immer zu trennen. Wie gesagt: Noch ist es nicht zu spät. Wir müssen das Zepter der Yartholdo zurückerlangen, um die Feen wieder in ihre Welt zu schicken. Doch das wird nicht einfach sein. Feen und Alben haben sich in das Schloss der Schneekönigin hoch im Norden zurückgezogen, ein Gebiet von höchster magischer Kraft, das es einzunehmen gilt. Daher fordere ich euch auf, für einen Feldzug gegen die Feen abzustimmen — eine Schlacht für die Freiheit unserer Welt!«
Applaus erklang von den Rängen, Grim hörte begeisterte Pfiffe aus den Reihen der Kobolde.
»Durch die verfluchte Feenmagie haben sich die Wurzeln der Bäume im Bois de Bologne in unsere Wohnhöhlen gegraben und viele von ihnen eingerissen«, rief ein gelockter Waldschrat mit leuchtend rotem Bart, der ohne Mouriers Einwilligung das Wort ergriffen hatte. Sofort fing er sich einen tadelnden Blick vom König ein und ließ sich zurück auf seinen Platz fallen, doch das hinderte ihn nicht daran, die Faust zu recken und sie aufgeregt zu schütteln. »Schicken wir sie dorthin zurück, woher sie gekommen sind!«
»Ja«, kreischte ein Gnom mit dürren, ockerfarbenen Armen und glänzender Glatze. »Was haben die hier überhaupt zu suchen? Haben sich vor Jahrhunderten abgesetzt, und jetzt auf einmal wollen sie die Menschheit umbringen!«
Da erhob sich ein Gargoyle aus den Reihen der Konservativen und verschränkte die Arme vor der Brust. Sein Körper war menschlich, doch auf seinem Hals saß ein Wolfskopf, und seine Augen blitzten listig zu Grim herauf. »Noch vor einem Jahr galt das Zepter der Menschen als vernichtet«, sagte er mit düsterer Miene. »Offensichtlich war es nötig, um die Grenze einzureißen —, und vor wenigen Stunden wurde es in beeindruckender Naivität der Oberwelt präsentiert. Lasse ich einmal die Einwände außer Acht, die ich und andere aus diesen Reihen gegen diese ominöse Anderweltausstellung vorgebracht haben, die Zweifel, ob ein solches Risiko eingegangen werden sollte und die Hinweise darauf, dass dies aus unserer Sicht nicht nur eine sinnlose, sondern auch eine gefährliche Zeitverschwendung wäre. Eines steht jetzt fest: Auf diese Gelegenheit haben die Feen gewartet.«
Grim sah Mia zusammenzucken, doch ihre Augen glühten vor Zorn. Langsam erhob sie sich, und Mourier erteilte ihr das Wort.
»Keinesfalls war die Ausstellung der Artefakte sinnlos«, sagte sie, und Grim war erstaunt über den klaren, vollen Klang ihrer Stimme, der so gar nicht zu ihrem geschwächten Äußeren passen wollte. »Einst lebten Anderwesen und Menschen in einer geeinten Welt. Aus eigenem Verschulden heraus lastet nun der Zauber des Vergessens auf meinem Volk, und die Welten wurden getrennt. Doch es ist mein Ziel, dass dies nicht bis in alle Ewigkeit so bleibt. Ich weiß, dass viele Menschen sich nach der Anderwelt sehnen, selbst wenn sie es noch gar nicht wissen, und ich weiß auch, dass es vielen Anderwesen umgekehrt ebenso geht. Ihr Gargoyles seid das beste Beispiel: Ihr stehlt uns Menschen die Träume und redet unsere Lebensweisen klein — aber gleichzeitig bewahrt ihr kostbare Güter unserer Kultur in euren Prachtbauten und lauscht menschlicher Musik. Habe ich nicht neulich einen Rembrandt in Eurem Domizil gesehen, Senator Irdas?«
Der wölfische Gargoyle kniff die Lippen zusammen, während Gelächter durch die Reihen flog. Sein Blick umfasste Mia mit unverhohlener Missachtung. »Menschen sitzen in unseren Reihen«, zischte er, und Grim hörte ein dumpfes, zustimmendes Murmeln, das ihm einen Schauer über den Rücken schickte. Er sah, wie Mia die Luft einsog, doch sie erwiderte Irdas' Blick unverwandt, als der Gargoyle fortfuhr: »Und Menschen sind es, die von den Feen bedroht werden. Was geht es uns an? Warum sollten wir uns darum kümmern, ob die Feen die Menschen auslöschen oder nicht? Vermutlich sind sie ohnehin für Jahrhunderte beschäftigt, wenn man bedenkt, wie schnell sich die Menschen vermehren und überall auf der Welt verteilen.«
Mia setzte zu einer Entgegnung an, doch da ergriff Pheradin das Wort. Majestätisch erhob er sich und legte eine Hand auf ihre
Weitere Kostenlose Bücher