Grim - Das Siegel des Feuers
»Aber Grim hat sich noch nie viel aus dem GBG und dem ZGBG gemacht — dem Zusatz zum Gesetzbuch, eigenhändig verfasst vom Polizeipräsidenten und Grims Vorgesetzten Mourier.« Er seufzte und sah sie ernst an. »Er hat dich gern«, sagte er leise. »Er weiß es nur noch nicht.«
Mia biss sich auf die Lippe, dann schüttelte sie den Kopf. »Woher soll ich wissen, dass du die Wahrheit sagst? Und selbst wenn — vermutlich hat Grim ganz recht mit seiner Meinung: Menschen und Gargoyles gehen sich besser aus dem Weg.«
Ihre Worte ließen Remis zurückweichen. Schnell setzte sie ihren Weg fort und stellte nach einer Weile fest, dass der Kobold ihr nicht gefolgt war. Es war ihr recht so. Sie würde es auch allein schaffen. Für einen Moment flackerten die Fratzen der Hybriden vor ihr auf, aber sie stieß so entschlossen die Luft aus, dass sie verschwanden. Jakob war auch allein gewesen — und er war bis nach Ghrogonia gekommen. Sie würde seine Sachen durchsuchen, sicher standen sie noch immer in Kisten verpackt bei ihnen im Flur. Vielleicht würde sie Aufzeichnungen finden, die sie auf die Spur desjenigen brachten, der laut Grim etwas von diesem Pheradin wusste. Und dann würde sie eben allein zu ihm gehen, Reich der Finsternis hin oder her. Diese Gedanken ließen sie ruhiger werden.
Erst als sie das Treppenhaus zur Wohnung ihrer Mutter betrat, fühlte sie, dass etwas nicht stimmte. So leise wie möglich bewegte sie sich die Treppe hinauf und hätte fast geschrien, als sie die Polizeibanderole sah, die sich quer über die halb zertrümmerte Tür spannte. Mia konnte nichts denken als:
Sie sind hier gewesen!
Die Hybriden hatten ihre Mutter und Josi gefunden. Wie in Trance zerriss sie die Banderole. Die Wohnung war nicht wiederzuerkennen. Die Möbel lagen umgeworfen auf dem Boden, überall waren Scherben von zerbrochenem Geschirr, an den Wänden prangten tiefe Kratzer, als hätte ein gewaltiger Löwe seine Krallen über den Putz gezogen. Mia schrak zusammen, als ihre Schritte auf den Scherben knirschten. Sie trat in ihr Zimmer, ihr Schreibtisch war in der Mitte durchgebrochen, die Matratze bestand nur noch aus winzigen Fetzen, als hätte sie jemand wie ein Stück Papier auseinandergerissen. Die Petroleumlampe lag zerbrochen mitten im Zimmer, und da, unter einem Berg ihrer Zeichnungen, befand sich der schwarze Mantel mit Jakobs Blut daran. Mia spürte, wie sich ihre Kehle zuschnürte. Sie zog den Mantel an sich. Mit beiden Armen hielt sie ihn fest, er roch nach Regen und Wind. Dann ging sie zurück in den Flur. Jakobs Sachen waren verschwunden. Sie spürte, wie die Angst ihr Herz rasen ließ. Wo war ihre Mutter, wo war Josi?
Ein Krächzen ließ sie zusammenfahren. Erleichtert stellte sie fest, dass Josis Vogel auf einem der zerbrochenen Stühle hockte und sie aufmerksam betrachtete.
»Falifar«, sagte sie leise. Noch nie hatte sie sich so gefreut, diesen hässlichen Vogel zu sehen. Als hätte er sie verstanden, flatterte er auf ihre Schulter. Gleich darauf flog er über den Flur und hinaus aus der Tür. Im Treppenhaus blieb er sitzen, aufgeregt mit den Flügeln schlagend, und wartete, bis sie ihm gefolgt war. Dann erhob er sich wieder in die Luft und glitt das Treppenhaus hinab. Mia zog die Brauen zusammen. So seltsam hatte sich der Vogel noch nie benommen, es sah ja fast so aus, als wollte er ... Sie schüttelte den Kopf. Er war ein Kanarienvogel — oder so etwas Ähnliches —, nicht mehr. Er würde sie nirgendwohin führen. Und doch folgte sie ihm. Er flog schnell, und sie hielt sich fern von den Straßenlaternen. Wer konnte wissen, ob die Hybriden — denn niemand anderes hatte die Wohnung so zugerichtet, da war sie sich sicher — noch oder schon wieder in der Nähe waren.
Sie waren einige Straßen weit gegangen, als Falifar vor einem Altbau innehielt. Er wandte sich zu ihr um und schoss dann wie eine Rakete in eines der geöffneten Fenster im dritten Stock. Augenblicke später wurde der Summer betätigt. Mia zögerte einen Moment. Dann drückte sie die Tür auf. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie die Treppe nach oben ging. Licht fiel aus einer geöffneten Tür, und ein bekanntes Gesicht schaute ihr entgegen.
»Josi!«
Mia wusste nicht, wie sie die letzten Meter überwand. Im nächsten Moment fiel sie ihrer Tante in die Arme. Der Knoten in ihrem Brustkorb schmerzte so sehr, dass sie am liebsten geschrien hätte. Josi zog sie in die Wohnung und verriegelte die Tür. Wortlos führte sie Mia über einen
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