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Grim - Das Siegel des Feuers

Grim - Das Siegel des Feuers

Titel: Grim - Das Siegel des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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Nachtschattengewächse zu glimmen. Raureif glitzerte auf den Blättern der Sträucher. Bezaubert ging Mia den Weg entlang. Jeder störende Gedanke, jedes negative Gefühl war verschwunden. Sie war nichts mehr als ein Mensch, der durch einen Märchenwald ging — Schritt für Schritt. Da brach Licht durchs Unterholz, hell wie ein Stern. Mia konnte den Blick nicht abwenden, sah nichts mehr als das Licht und folgte ihm, bis sie vor einem strahlend weißen Tier stand. Sie trat näher und erkannte, dass es ein Einhorn war. Es hatte sein Haupt auf die Hufe gelegt und hielt die Augen geschlossen.
    Mia stockte für einen Moment der Atem. Niemals zuvor hatte sie etwas so Schönes gesehen. Doch als sie sich niederbeugte und die Hand ausstreckte, um es zu berühren, glitzerte etwas in ihrem Augenwinkel. Sie wandte den Blick — und da sah sie das Blut. Es floss aus dem Mund des Einhorns, und jetzt, da Mia zurückwich, perlten blutrote Tränen aus dessen geschlossenen Augen. Ein eisiger Hauch streifte Mias Wange. Das Einhorn war tot.
    Etwas schrie in den Baumkronen, es klang wie ein Affe. Mia fuhr zusammen. Ein Löwe brüllte nicht weit entfernt, sie hörte wildes Keuchen im Unterholz. Erschrocken taumelte sie zurück und fiel über ein Hindernis. Sie landete auf dem Rücken. Schreckensstarr sah sie, dass sie über einen Toten gefallen war — einen Menschen, der mit weit aufgerissenen Augen zum Himmel starrte. Mia unterdrückte einen Schrei und kam auf die Beine. Jetzt sah sie, dass überall um sie herum Menschen lagen, grausam verstümmelt, und ihr Blut floss in glänzenden Strömen über den Platz. Und dazwischen — lautlos und gewaltig — schritten Gargoyles auf und ab. Auch auf den Dächern der umliegenden Häuser standen sie — reglos wie Todesengel — und starrten auf das Einhorn hinunter.
    Mia wich zurück. Sie stieß an etwas Hartes, stolperte und fiel rücklings über einen hölzernen Zaun. Krachend landete sie im Unterholz. Angespannt schaute sie zu den Gargoyles hinüber und tastete sich blindlings hinter den großen Baum, neben den sie gefallen war. Doch statt der Rinde berührten ihre Finger etwas Weiches. Sie fuhr zurück. Hinter dem Baum kauerte ein Mensch. Jetzt wandte er den Kopf — es war Lucas. Tränen liefen ihm übers Gesicht, er schien sie anzusehen. Mia hielt den Atem an. Er hatte die Menschen in diesen Park gebracht. Er hatte ihnen das Einhorn zeigen wollen. Doch die Gargoyles waren ihnen gefolgt — und hatten sie ermordet. Sie sah, wie ihr Vater weinte, und spürte die Kälte in ihrer Brust.
Deswegen hat er sich umgebracht,
schoss es ihr durch den Kopf.
Er hat gegen die Übermacht der Gargoyles keinen Ausweg mehr gesehen — sie haben ihm keinen Platz in ihrer Welt zugestanden und gleichzeitig ein Miteinander von Anderwesen und Menschen radikal verhindert.
Mia streckte die Hand nach ihm aus. Doch ehe sie seine Wange berühren konnte, zerriss ein Blitz die Szene.
    Sie wurde durch die Luft geworfen und landete auf hartem Boden. Pheradin kniete neben ihr und half ihr auf die Beine. »Ich war ...«, begann sie, doch Pheradin nickte nur.
    »Es war kein Traum, keine Illusion«, erwiderte er. »Das geschieht häufig, wenn man eine Parallelwelt berührt. Du hast einen Blick in die Vergangenheit geworfen.«
    Mia schaute sich um. Sie stand auf der Brücke der Engel und fröstelte bei dem Gedanken an Lucas' weinendes Gesicht. Doch Pheradin lächelte. »Sieh«, forderte er sie auf. »Sieh nur.«
    Sie folgt seinem Blick. Und da, hinter dem hölzernen Tor, stand der Feenkrieger.
    Sie erkannte ihn sofort. Es war derselbe, der ihr auf dem Friedhof begegnet war — und der an Jakobs Grab um ihren Bruder geweint hatte. Das Holz der Tür bewegte sich wie dicker Nebel, aber sie konnte ihn klar erkennen. Ein sanftes Lächeln lag auf seinen Lippen. Jetzt breitete er die Arme aus. Ein angespannter Ausdruck trat auf sein Gesicht, er flüsterte etwas, das Mia nicht verstand. Gleich darauf ging eine Vibration von ihm aus. Mia sah sie in der Luft wie die Wellen, die ein Stein macht, den man in ruhiges Wasser wirft. Sie sah die Muskeln seiner Arme, es schien, als würde er etwas Schweres tragen. Langsam bewegte er die Hände auseinander — und da löste sich das Bild der Engelsburg wie ein grauer Schleier von der farbigen Welt, die dahinterlag. Mia riss die Augen auf. Hinter der realen Ebene war eine zweite Wirklichkeit entstanden — ein zweites Tor, eine zweite Burg. Das also hatte Pheradin mit einem parallelen Ort

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