Grim - Das Siegel des Feuers
in Grim wider wie der Laut zerbrechender Spiegel. »Den ersten Schritt bist du in Bythorsuls Meer gegangen. Nun ist es an der Zeit, dass du den Schatten begegnest — den Schatten deiner Vergangenheit. Du musst den Weg der Spiegel gehen — den Weg der Spiegel zurück ins Licht!«
Beim letzten Wort hob sie die Hände, ihr Klatschen zerriss den Raum wie ein Blatt Papier.
Grim stürzte in die Finsternis und landete hart auf staubigem Grund. Hustend kam er auf die Beine und fand sich in einem schmalen Gang wieder, der über und über mit Spiegeln behängt war. Den Schatten seiner Vergangenheit sollte er also begegnen. Er stieß die Luft aus. Sollten sie kommen! Er würde ihnen ins Gesicht lachen, was oder wer sie auch waren!
Er setzte sich in Bewegung und geriet bald in ein Labyrinth aus Spiegeln. Nicht nur einmal schepperte er mit dem Kopf gegen die Wand, da er einen Durchgang erahnte, wo nichts als ein Spiegel war, und bald hatte er jedes Zeitgefühl verloren. Wie lange irrte er nun schon durch die Gänge? Minuten? Stunden? Tage? Er wusste es nicht. Irgendwann begannen die Spiegel, andere Bilder zu zeigen als ihn selbst. Sie wurden zu Gedanken und Erinnerungen, die Grim Menschen geraubt hatte, zu Tönen, meistens Orgelklängen, zu Stimmen, Gelächter und Tränen. Auch Gestalten sah er, Moira, wie sie ihm zuwinkte, die dunkle Silhouette Pedros, den sterbenden Jungen in seinen Armen. Grim schloss die Augen, er ertrug diese Bilder nicht mehr. Doch als er sich durch die Gänge tastete, fühlte er sie — die anderen, die hinter den Spiegeln lauerten, ihre eisigen Hände, ihr Lachen, ihren Atem auf seinem Gesicht.
Du musst dir die Sehnsucht bewahren. Sie ist es, die uns lebendig hält.
Grim fuhr herum und starrte Moira ins Gesicht. Tausendfach abgebildet in jedem Spiegel schaute sie ihn an, genau wie damals — damals? — in der Arena bei ihrem letzten Gespräch.
»Was soll das?«, fragte Grim und hob den Kopf, doch selbst über ihm hingen Spiegel, und auch dort stand Moira und schaute auf ihn herab. Da flackerte es in seinem Augenwinkel. Eine Tür hatte sich geöffnet, hinter der undurchdringliche Finsternis lag. Grim tat einen Schritt auf sie zu, dann besann er sich. Hel wollte, dass er sich den Schatten stellte — und wenn Moira ein Schatten war, wollte er es tun. Er wandte sich um und trat vor den nächstbesten Spiegel. Moira schaute ihn an, als wäre sie tatsächlich da.
»Sieh, wohin meine Sehnsucht mich gebracht hat«, sagte er leise. Er war sich bewusst, wie lächerlich es war, mit einem Spiegelbild zu sprechen, aber als er ihr in die Augen sah, schien es ihm, als würde sie ihn hören. »Sie hat mir nicht dabei geholfen, dich zum Reden zu bringen. Und sie hat dich auch nicht daran gehindert, dich der verfluchten Sonne zu schenken!« Die Worte brachen aus ihm hervor wie eine Lawine, es war, als rissen sie die Haut von einer gerade verheilten Wunde. »Du hast mir nichts erzählt! Du hättest alles verhindern können und hast es nicht getan! Du hast mich alleingelassen!«
Er hatte gebrüllt, ohne es zu wollen, und noch ehe er wusste, wie ihm geschah, ging ein Zittern durch den Spiegel, vor dem er stand, und Moiras Bild zerbrach. Erschrocken sah Grim zu, wie die Scherben zu seinen Füßen niederfielen, klirrende Flocken aus Glas. Benommen sah er, wie sie stumpf wurden, ebenso wie die Spiegel um ihn herum. Nur einer zeigte noch Moiras Gestalt, und da hörte er noch einmal ihre Stimme.
Es gibt Sterne,
sagte sie leise,
die schon nicht mehr da sind, wenn wir ihr Licht sehen. Sie sind erloschen, verstehst du, aber vorher haben sie ihren Schein zu uns gesandt. Und dann, wenn sie schon lange nicht mehr da sind, gibt es doch noch ihr Licht, das für uns strahlt.
Grim starrte sie an. Verlegen bemerkte er, wie ihr Bild vor seinem Blick verwischte. Er fuhr sich über die Augen, etwas Feuchtes blieb an seinen Klauen haften, und noch ehe er wusste, wie ihm geschah, fiel er auf die Knie zu Moiras Füßen und verbarg das Gesicht in den Händen. Wie ein Krampf ging es durch seinen Körper, und er weinte. Als es vorbei war, fühlte er sich dumpf und leer. Sein Kopf dröhnte, das Licht tat seinen Augen weh. Schlafen, nur für einen Moment. Erschöpft lehnte er den Kopf an den Spiegel, der Moira zeigte — und da fühlte er ihre Hand. Sanft strich sie ihm über den Kopf, so behutsam, dass er zuerst zu träumen glaubte. Doch als er sie ansah, erwiderte sie seinen Blick. Ihre Hand war aus dem Spiegel geglitten, sanft ruhte sie
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