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Grim - Das Siegel des Feuers

Grim - Das Siegel des Feuers

Titel: Grim - Das Siegel des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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Schlüssel in ihrer Tasche, vollzog das Türritual und betrat die Wohnung. Sofort umhüllte sie ein staubiger Geruch, und als sie die Petroleumlampe neben der Tür entzündet hatte und über den Flur in das einzige Zimmer ging, sah sie auch, aus welchem Grund: Jakob hatte mehr Bücher als jeder andere Mensch, den Mia kannte, und die meisten davon waren uralt. Sie lagen überall, auf dem Tisch, der mitten im Zimmer stand, den beiden Klappstühlen, dem schmalen Bett unter der Dachschräge und dem Schreibtisch mit dem Computer und den unzähligen Papieren und Zeichnungen. Das einzige Regal — ein klappriges Ding mit ungleich langen Brettern — bog sich unter der Last dicker Atlanten, steinerner Figuren und dem Koffer mit Jakobs Querflöte.
    Mia entzündete auch im Wohnzimmer einige Petroleumlampen und wurde ein wenig ruhiger. Sie atmete ein. Dieser Duft war Jakob für sie: die alten Bücher, die Petroleumlampen — bei seinem Auszug hatte er ihr eine geschenkt, sie stand auf ihrem Nachtschrank. Sie wandte den Blick und schaute auf die unzähligen Zeichnungen, die teils in Rahmen, teils mit Stecknadeln befestigt an der Wand hingen und die merkwürdigsten Kreaturen zeigten. Sie stammten alle von ihrem Vater. Jakob hatte keine davon weggeworfen. Selbst auf dem Boden lagen einige. Früher war es Mia vorgekommen, als liefe sie in dieser Wohnung über einen Flickenteppich aus Träumen.
    Jetzt hatte sie für solche Gedanken keinen Sinn. Ruhelos ging sie auf und ab und merkte erst nach einer ganzen Weile, dass sie noch immer ihren Zeichenblock in der Hand hielt. Wütend schleuderte sie ihn auf den Tisch.
    »Ich bin nicht verrückt«, sagte sie halblaut zu sich selbst und kam sich sofort lächerlich vor. »Na klar«, fuhr sie fort. »Es spricht wirklich für einen klaren Verstand, wenn man anfängt, mit sich selbst zu reden.«
    Dennoch beruhigte sie der Klang ihrer eigenen Stimme und vertrieb die Gesänge der Wesen, deren Gesichter ihr vom Friedhof bis hierher gefolgt waren wie Albträume. Und dann der schwarz gewandete Fremde ... Mia schauderte, als sie an das Eis dachte, das ihr nachgekrochen war wie eine riesige Totenzunge. Sie hob den Blick und erkannte sich selbst im schmutzigen Glas des Fensters, hinter dem die Nacht lag wie ein lebendiges Wesen. Sie zog die Arme um den Körper. Und wenn sie ihr gefolgt waren? Wer konnte wissen, was noch alles in der Dunkelheit vor dem Fenster lauerte und sie beobachtete, gerade in diesem Moment? Sie schaute sich ins Gesicht. Finsternis lag hinter ihren Augen, und plötzlich meinte sie, eine Bewegung zu erkennen — ein schattenhaftes, lautloses Flackern, als wären zwei Kohlestücke aufgeflammt und gleich darauf wieder erloschen. Sie hielt den Atem an, und ein seltsamer Gedanke ging ihr durch den Kopf: Was, wenn sie zum Fenster gehen und es öffnen würde? Was würde sie dahinter finden?
    Entschlossen riss sie den Blick los und wandte sich ab.
    »Nein«, sagte sie laut. »Ich muss mich jetzt zusammenreißen. Es gibt eine Erklärung für alles. Es muss eine geben.«
    Und obwohl sie wusste, wie angreifbar diese Feststellung war, setzte sie sich auf einen Klappstuhl und griff betont gelassen nach einer der Tageszeitungen, die auf dem Tisch herumlagen. Sie hatte gerade zwei Artikel überflogen, ohne die Buchstaben zu sehen, als die Luft über der Tür zum Flur anfing zu flirren. Mia ließ die Zeitung fallen und griff nach ihrer Tasche.
    »Nicht schon wieder«, flüsterte sie. Mit zitternden Fingern ertastete sie ihr CS-Gas — dieses Mal wollte sie vorbereitet sein, auch wenn sie bezweifelte, dass diese winzige Dose sie in irgendeiner Weise beschützen konnte. Fassungslos sah sie zu, wie sich am oberen Falz der Tür zwei Funken bildeten und ein flammendes Oval in den Raum zeichneten. Die Luft darin flirrte wie ein Schwarm halb durchsichtiger Bienen und machte ein säuselndes Geräusch. Seltsamerweise fühlte Mia nicht eine Spur von Angst. Zögernd trat sie näher an das Oval heran, das inzwischen einer spiegelnden Wasseroberfläche glich.
Hör auf,
sagte sie sich, aber sie hatte schon die Hand ausgestreckt, um das Oval zu berühren. Wie ein Portal sah es aus, ein Tor in eine andere ...
    In diesem Moment glitt eine Hand aus dem Inneren des Ovals und traf Mias Finger. Schreiend sprang sie zurück, stolperte über ihren Klappstuhl und landete auf dem Allerwertesten. Panisch riss sie das CS-Gas nach oben und sah, wie sich ein Mensch aus dem Wasser schob. Vollkommen trocken stand er vor ihr und

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