Grim - Das Siegel des Feuers
abgelegt wurde, konnte es von einem anderen aufgenommen werden.
Sie sah Seraphin fest in die Augen. »Es gibt nur einen Haken an deinem Plan«, sagte sie und bemühte sich, ruhig zu sprechen. Es gelang ihr so gut, dass sie von dem eisigen Ton in ihrer Stimme überrascht war. Sie lächelte boshaft. »Mich.«
Seraphins Augen wurden schmal. »Du bist ein Mensch«, sagte er langsam, als wäre seine Zunge auf einmal zu schwer. Er fuhr sich über den Mund. »Du wirst mir geben, was ich will.«
Mit diesen Worten erhob er sich und drückte mit spielerischer Geste auf einen Knopf auf dem Würfel. Ein Zimmer wurde sichtbar, es war ein Schlafzimmer, Mia sah zugezogene Vorhänge, einen Kleiderschrank mit Kommode und ein Bett. Und in dem Bett lag — ihre Mutter. Mia stieß einen Laut des Erschreckens aus, doch Seraphin lachte nur.
»Ja«, sagte er gedehnt. »Du wirst mir geben, was ich will. Denn ich werde sie trotzdem töten — auch wenn ich sie nicht verwandeln kann. Ich werde mir meinen Triumph nicht nehmen lassen durch ein lächerliches Menschenkind! Alle werden sterben — alle! Es sei denn ...« Er hielt inne. »Es sei denn, du gibst mir das Zepter. Dann könnte ich mich erweichen lassen und jemanden verschonen, den du sehr liebst — ja, das könnte ich. Wenn du dich aber weigerst, mir zu helfen — geschieht das!«
Mit schnellen Bewegungen berührte er mehrere Knöpfe, doch Mia bemerkte es kaum. Sie sah nur ihre Mutter, die mit blassem Gesicht im Bett lag und schlief. Da tauchte ein Schatten hinter dem Fenster auf, er drang durch die Vorhänge und kroch über den dämmrigen Boden bis hin zum Bett. Mia wollte sich abwenden, doch Seraphin hatte sich hinter sie gestellt und hielt ihr Gesicht in beiden Händen. Mit schreckgeweiteten Augen sah sie, wie der Schatten die Faust hob und das Fenster einschlug. Das Klirren der Scherben weckte ihre Mutter, sie schrie auf, als der Gargoyle ins Zimmer trat, aber Mia hörte ihre Stimme nicht. Sie sah nur ihr angstverzerrtes Gesicht. Der Gargoyle machte einen gewaltigen Schritt, ihre Mutter sprang aus dem Bett, doch schon war er bei ihr, packte sie an der Kehle und hob sie in die Luft. Mia schrie, doch Seraphin ließ sie nicht los. Seine eiskalten Finger brannten an ihren Wangen. Und dann, mit einem Schrei, der die Hölle entfacht hätte, stieß der Gargoyle die Faust vor. Mia hörte, wie die Rippen ihrer Mutter brachen, sie sah noch das erschrockene Staunen in ihren Augen, kurz bevor sie starb. Dann ließ Seraphin sie los, und sie wandte sich ab.
Sie spürte, wie ihr Tränen über die Wangen liefen, als er sich vor ihr niederließ. Auf seinen Lippen lag ein Lächeln voller Triumph. Mia spürte wildes Feuer in sich, sie konnte sich nicht rühren, keinen klaren Gedanken fassen. Alles in ihr war Verzweiflung. Und dann plötzlich, mitten durch das Chaos, klang eine Stimme zu ihr.
Hier geht es um mehr als nur um uns ... Es ging immer um mehr als das. Vergiss das niemals! Und denk daran, dass du stark bist — genau wie Jakob.
Mia holte Atem, ihr schien es, als würde die Luft ihre Lunge verbrennen. Dann sah sie Seraphin in die Augen.
»Du lässt mir keine Wahl«, flüsterte sie. »Und deswegen habe ich dir nur noch eines zu sagen.« Sie wartete, bis er sich ein Stück weit vorgebeugt hatte. Dann wandte sie den Kopf und flüsterte beinahe zärtlich in sein Ohr: »Scher dich zur Hölle!«
Für einen Moment saß Seraphin regungslos. Dann wich er zurück, doch sein Blick ruhte auf ihr, schwarz und brennend wie brodelndes Pech. Mia hörte die Schreie des Triumphs in sich, wildes, ungezügeltes Gebrüll aus tausend todgeweihten Kehlen. Ihr schien es, als stünde sie allein auf einem Schlachtfeld, vor sich ein nicht zu bezwingendes Heer. Doch statt zu fliehen, riss sie ihr Schwert in die Luft und trieb ihr Pferd vorwärts.
Seraphin erhob sich langsam. Er kehrte vor den Würfel zurück. Wieder erschien das Bild der wartenden Armee. Feierlich drückte Seraphin einen Knopf. Weißes Feuer flammte in den Augen der Gargoyles auf. Mia hielt den Atem an, als sie sich in Bewegung setzten. Es hatte begonnen. Bald schon würden sie die Oberwelt erreichen — und dann würde Seraphin nicht zögern, das zu tun, was er versprochen hatte. Mia spürte wieder Tränen in sich aufsteigen, aber sie wandte den Blick nicht ab. Noch war es nicht vorbei. Noch hatte er gar nichts erreicht — noch hatte er sie nicht getötet. Grims Gesicht tauchte vor ihrem inneren Auge auf, und deutlich hörte sie seine
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