Grim
zurück, doch kaum hatte sie sich umgewandt, zog sich die Dunkelheit hinter ihr zusammen. Sie begann zu laufen, sie fühlte etwas auf sich zugleiten, etwas Gewaltiges, das sich vor ihrem Blick verbarg und doch schon so nah war, dass sie glaubte, nur die Hand ausstrecken zu müssen, um es zu berühren. Je finsterer die Nacht wurde, die sie verfolgte, desto glühender raste die Panik durch ihre Adern und färbte die Dämmerung schwarz.
Blind fiel sie auf die Knie, sie spürte vermodertes Holz unter ihren Händen, kurz glaubte sie, dass Blut über ihre Finger rann. Da griff etwas nach ihrem Bein. Sie schrie auf, es war eine Wurzel, nicht mehr, und doch sah sie eine starre Totenhand, zerrissene Menschenleiber, sich selbst in einem Meer aus Blut, und sie fühlte einen eiskalten Atem im Nacken, der ihr verbot, sich umzudrehen. Sie rannte weiter, doch plötzlich brach der Boden hinter ihr ein. Sie sprang fort von dem Abgrund, aber er folgte ihr, und ihre Magie blieb stumm, sosehr sie auch nach ihr rief. Es ist ein Traum , sagte sie sich, es ist nur ein Traum . Doch etwas antwortete ihr: War es die Dunkelheit um sie herum, das tote Kind, das hinter dem Baum hervortrat, oder war sie selbst es? Es ist nie nur ein Traum. Sie stolperte, sie wusste, dass sie jeden Augenblick das Gleichgewicht verlieren und hinabstürzen würde in den Abgrund, und ihr Schrei zerbrach auf ihrer Zunge, denn sie begriff, dass niemand kommen würde, um sie zu retten.
Niemand.
Das Wort schlug ihr die Beine unter dem Körper weg. Stumm stürzte sie in die Kluft hinter sich, sie riss den Kopf in den Nacken und sah mit Entsetzen, wie ein Drache aus der Schwärze brach, ein riesiges Ungeheuer mit mächtigen Schwingen und glühenden Augen. Er schien aus Stein zu bestehen, doch unter seiner rissigen Haut loderte Feuer. Grollend schlug er nach ihr, sie spürte eine seiner Krallen an ihrer Schulter und sie hörte sich schreien, als der Schmerz ihr fast den Verstand raubte.
Niemand.
Wieder holte der Drache aus, Mia fühlte das Wort auf ihrer Stirn brennen, und bevor der Schmerz in ihrer Schulter vollends verklungen war, riss sie es sich vom Leib. Als flackerndes Licht sah sie es in die Dunkelheit fallen. Es nahm etwas mit sich, ihre Furcht vielleicht? Sie fuhr herum. Der Drache starrte sie an, als sie auf einem Seil landete, einem Seil, das sie tragen würde.
Sie war nicht niemand.
Als sie sich in die Luft erhob, wusste sie nicht, ob sie sprang oder flog, es fühlte sich an, als würde sie schweben. Sie wich dem Hieb des Drachen aus, und als er das Maul aufriss, da stürzte sie sich vor. Die Flammen glitten von ihr ab wie Regen, sie fiel in seine Finsternis und ließ sich von ihr durchfließen, von all seiner Kälte und seiner Glut, und noch während seine Nacht durch ihre Adern pulste, wurde sie ruhig, gelassen, beinahe friedlich.
SielandeteineinemvollkommendüsterenRaum.Dennochwusstesie,dasserausSteinbestand,ausweißemMarmor,dersichinGewölbenundSäulengängenbiszumHorizonterstreckte.Undkaumhattesiedasgedacht,erkanntesieeineFlammevorsichinderDunkelheit.PechschwarzwarsiemiteinemgoldenenSandkorndarin.
Mia spürte den Schein auf ihrem Gesicht, es war, als würde sich Blütenstaub auf ihre Haut legen, und sie lächelte, als der Glanz der Flamme zärtlich über ihre Finger strich. Sie hielt inne, lauschte auf das zarte Klingen in ihrem Inneren, auf die Stille, die sie geworden war. Dann berührte sie das Sandkorn. Ein stechender Schmerz durchzuckte ihren Körper, sie schrie auf – und fand sich gleich darauf auf der Liege in Balthasars Zimmer wieder. Sie sah die Gesichter der Hartide, den konzentrierten Ausdruck Balthasars, der die Wunde an ihrer Schulter versorgte – und Lyskian, der dicht neben ihrer Liege stand und ihre Hand hielt. Kurz saßen sie sich wieder im Mohnfeld gegenüber, und die Dunkelheit in seinen Augen war samten und kühl. War es Dankbarkeit, die sie in seinem Blick fand, ein Versprechen, gegeben zwischen allen Welten, ein Wort, das sie nicht deuten konnte? Er lächelte unmerklich und schaute auf das Sandkorn, das über ihrer Brust schwebte. Balthasar murmelte einen Zauber und umschloss es mit einem flackernden Schutzzauber.
»Du hast es geschafft, Kind des Sturms«, raunte der Gargoyle, und ein Lächeln trat auf sein Gesicht, das seine Züge weich machte und seltsam jung. »Doch dein Weg hat gerade erst begonnen. Nun geh und hole dir den zweiten Teil eures Zauber s. Hole dir die Seele Prags.«
Kapitel 31
Der Tote Fluss donnerte
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