Grim
murmelte er. »Ich kann ihn nicht zurückholen, seine Finsternis duldet mich nicht. Ich würde ihn niemals finden in seinem Traum.«
Mia fühlte die Verzweiflung, die aus jedem seiner Worte zu ihr sprach. »Aber ich«, sagte sie, mehr zu sich selbst als zu ihm, und nickte entschlossen. »Führt mich zu ihm.«
Radvina griff nach ihrem Arm. »Das ist gefährlich«, sagte sie voller Angst. »Du kannst nicht … «
»Ich kann alles tun, was ich will«, erwiderte Mia. »Es mag gefährlich sein – aber gerade du willst mir etwas über Gefahren erzählen? Hast du nicht gerade einen Killerclown mit ein wenig Wendo und ein paar blauen Funken auf der Hand in die Flucht geschlagen?« Sie lächelte kaum merklich, als Radvina sie losließ. Dann fixierte sie Balthasar mit ihrem Blick.
»Wenn er sterben sollte«, sagte dieser und befahl eine weitere Liege zu sich, »dann wird sein Tod dich mit sich reißen.«
Mia holte tief Atem, als sie sich hinlegte. Der Rauch über ihr ballte sich zu einem kleinen Sturm zusammen. »Lyskian stirbt nicht«, sagte sie. »Ich werde ihn finden in seinem Traum.«
Balthasar schaute sie an, doch es war nicht Mitleid, das für einen Wimpernschlag auf seinen Zügen lag. Es war Sehnsucht nach dem einen Augenblick, den er niemals haben würde – Sehnsucht nach dem Moment im Angesicht des Todes, der jeden Atemzug adelte. Sie spürte noch, wie er den Stein über ihrer Brust bewegte und ein kühler, stechender Schmerz durch ihren Körper ging. Dann senkte sich bleierne Schwere über sie. Nebel stiegen um sie herum auf, und sie fiel, fiel lange, ohne aufzukommen, und fühlte endlich kalten, geborstenen Stein unter ihren Fingern.
KalterWindbliesihrinsGesichtundzerrissdenNebel,derinFetzenüberdieRuinehinwegfegte,indersielangsamaufdieBeine kam.HalbzerbrocheneTürmeragtenineinendüsterenNachthimmel,schwarzeZinnenstachennachdenSternenunddierußbedecktenMauernerhobensichinderDämmerungwiedasSkeletteinesgewaltigenSauriers.MiaerinnertesichandiesenOrt,siehatteihnschoneinmalgesehen,undalssieüberdenverwaistenBurgplatzschaute,stobeinSchleierausAscheauseinemderhalbzerfallenenSäulengängeringsherumundlocktesiemitschemenhaftenHänden.SietrataufihnzuundspürteeinenAtemzuganihremMund,alsdieAschesichunterihrzueinemPfadniederlegte.WieimZeitrafferliefsiedarüberhinweg,liefdurchNebelundWind,überBergeundOzeaneunddurchNachtundTag,undsiespürtenichtsalsihrenHerzschlagunddieKältederAscheunterihrenFüßen.SchließlichsahsieeinenStreifenroterGlutamHorizont,undsiegelangteaneinMohnfeld,dasgroßwarwieeinMeer.
Flüsternd legte sich die Asche auf die Blumen, die unter der Berührung verkohlten und raschelnd zusammenfielen, und am Ende des Weges erblickte Mia eine Gestalt. Es war Lyskian. Sie wusste, dass er jeden ihrer Schritte fühlen konnte wie einen Messerstich. Vorsichtig trat sie auf ihn zu und fürchtete, dass er einfach aufstehen und weggehen könnte, hinein in sein Meer aus Mohn mit diesem schweren, melancholischen Duft. Doch er rührte sich nicht, und als sie vor ihm stehen blieb, saß er noch immer zusammengesunken da, den Kopf tief geneigt, das Haar im Wind wehend.
ErschauteaufdenBodenzwischenihnen,einverkohltesStückErde,undsiebegriff,dasservorihrgeflohenwar,vorihr,niemandemsonst,underst,alssievorihmindieKnieging,hoberdenKopfundsahsiean.AschespurenliefenüberseinGesicht,eswirkte,alshätteergeweint.WortloshoberdieHand.ErhielteineschwarzeMohnblütedarin,undMiawusste,dassereswar,dersieverwandelthatte – dassalles, was er berührte, durch ihn zu schwarzer Asche wurde.
Instinktiv streckte sie die Hand nach ihm aus, doch er fuhr zusammen wie ein verletztes Tier, und so ließ sie den Arm sinken und nahm die Ascheblüte aus seiner Hand. Sie verfärbte sich rot in ihren Fingern. Lyskian schaute darauf wie auf ein Wunder, und als Mia ihm die Blüte zurückgab, bewahrte sie ihre Farbe. Erneut hob sie die Hand, strich ihm über die Wange und sagte leise: Es ist nur ein Traum. Sie sah noch das Erstaunen in seinem Blick, das Lächeln, das traurig und schön auf seine Lippen flog. Dann ging ein Wispern durch das Feld und Lyskians Gestalt löste sich in weiße Nebel auf.
Ein heftiger Windstoß stob Mia ins Gesicht. Er zerbrach die Blumen und verwandelte das Mohnfeld in eine Wüste aus schwarzem Staub. Kalter Rauch glitt über den Boden, und als sie auf die Beine kam, spürte sie das Grollen, das plötzlich durch die Erde ging, und hörte ein Keuchen in der Luft, das sich ihr näherte. Entschlossen drängte sie die Furcht
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