Grim
dahin, als wollte er jeden Augenblicküber die Ufer treten. Grim spürte die Gischt auf seiner Haut, dieses eisige Salzwasser, das aus der Felswand der Höhle schoss und irgendwo in den Schatten rings um Rha’manthur entsprang oder noch weiter unten, in den Wüsten des Frosts vielleicht oder den Gängen der Winde, auf jeden Fall aber in einer größeren Tiefe, als Grim sie jemals kennengelernt hatte. Schweigend ging er neben Samhur am Ufer des Flusses entlang, wischte Remis von seiner Schulter, der sich immer wieder dicht neben seinem Ohr die Wassertropfen aus den Haaren schüttelte, und schaute hinab in die Fluten.
Seit sie sich auf diesen gewundenen, von schwarzledrigen Pflanzen gesäumten Pfad begeben hatten, vermied er es, den Blick auf den Fluchturm der Dämonen zu richten. Zu deutlich fühlte er seinen Schatten, ein in die Erde gefressenes Stück Finsternis, das die Umrisse des Turms nachzeichnete und seine Konturen aus sich selbst herausbildete. Gebrochene Türme hoben sich aus der Dunkelheit zu Grims Füßen, organische Zinnen und glanzlose Fenster, die ihn wie tausend Tote anstarrten, und er fuhr zusammen, als blutrote Flammen aus den Rissen im Stein schossen und nach ihm griffen. Der Schatten des Turms lag über ihnen und formte sich zu lockenden Gestalten, zu Wesen am Wegesrand, die ihn zu sich riefen und selbst das Tosen des Flusses übertönten. Grim zwang sich, durch ihre zwielichtigen Körper hindurchzuschauen und die Tunnel zu fixieren, jene gewaltigen Adern, die am Fuß der Klippe auf sie warteten. Es gab keinen anderen Weg hinauf zur Feste des Zorns, das wusste er, und Samhur hatte es noch einmal mit solcher Deutlichkeit betont, dass Remis wie ein nasser Beutel aus Fell und Knochen zusammengesackt war. Grim drehte das Licht des Gnyos in seiner Klaue. Er hatte es nicht losgelassen, seit die Zarin es ihm gegeben hatte, und nun, da er die Risse in den Tunnelwänden spürte wie Wunden in seinem eigenen Fleisch, legte sich der kühle Schein lindernd auf seine Haut.
Remis atmete schnell auf seiner Schulter und verfiel in die Beruhigungsmantras der Grünen Faust, als sie einen der Tunnel erreichten. Er war größer als jeder U-Bahn-Schacht der Menschen, und das Geflecht der Adern, das den Eingang versperrte, glänzte rötlich wie aufgebrochenes Fleisch. Dumpf pulsierte die Finsternis dahinter. Grim kam es so vor, als würde sie höhnisch grinsen.
Samhur trat näher an den Eingang heran. Er bückte sich und ließ die Steine durch seine Finger rieseln, die den Boden davor bedeckten. Grim zog die Brauen zusammen, als er das unnatürlich helle Geräusch hörte, mit dem sie aufkamen, und er unterdrückte ein Stöhnen, als er erkannte, was Samhur da in der Hand hielt. Zähne waren es – menschliche Zähne und Knochensplitter. Keuchend wich Remis zurück. Zehntausende Menschen mussten es sein, deren Überreste die Tunnel füllten, doch wer zur Hölle …
»Du bist einer von ihnen«, murmelte Samhur und gab sich keine Mühe, den Spott aus seiner Stimme zu verbannen. »Ich vergesse es immer wieder. Dies war der Herrschersitz der Dämonen, mein törichter Freund, damals, als sie noch mächtiger waren als in diesen Tagen. Was glaubst du, was sie hier unten taten in den langen Nächten ihrer Ewigkeit? Du hast keine Vorstellung davon, nicht wahr? Und vielleicht ist das gut so. Nicht jeder Verstand ist fähig, diese Grausamkeit zu packen. Doch ich hörte, dass du die Katakomben von Paris gesehen hast – jene Bereiche, in denen mein Volk einst seine Feste feierte. Lyskian erzählte mir davon, er sagte mir, dass du den Altar der Schattenalben gesehen hättest, und ich kann mir vorstellen, wie erschrocken du warst. Dabei waren das nur Kinderstreiche im Vergleich zu den Taten der uralten Dämonen.«
Grim war froh, dass er jede Regung hinter seiner Maske aus Stein verbergen konnte. Allzu lebhaft waren ihm die Bilder aus dem Blutgewölbe der Alben im Gedächtnis geblieben, das er im vergangenen Jahr unter dem ältesten Haus von Paris entdeckt hatte. Noch immer sah er die Menschenkörper vor sich, gefesselt an Schnüren aus Draht, und ihre herausgerissenen Augen, brennend auf dem Boden verteilt. Die Alben hatten es für die Feen getan, für die Aussicht auf ihre eigene Freiheit, und Grim wusste, dass die Vampire ihnen an Grausamkeit in nichts nachstanden und dass sie keinen anderen Grund dafür brauchten als ihren flatterhaften Willen. Er kannte die Erzählungen jener bestialischen Orgien, die die Blutsauger in Paris
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