Grim
an dem Ausdruck gelegen, mit dem sein Bruder ihn ansah, an dem Schatten in seinem Blick, der auch in Carvens Augen gelegen hatte, ehe er verschwunden war und der sich als Fessel um Grims Kehle zog, dieser stumme und eisige Schatten der Gewissheit. Seraphin taumelte rückwärts, Blut schoss aus seiner Nase, doch der Schmerz auf seinen Zügen galt nicht ihm selbst.
»Du begreifst nichts!«, rief Grim gegen die Flammen an. »Solange ich seinen Blick auf mir spüre, solange ich sein Gesicht sehe und seinen Herzschlag fühlen kann, ist er nicht verloren! Ich werde Carven nicht dem Tod und der Finsternis überlassen, um keinen Preis, und wenn ich Welten dafür niederreißen und neu errichten muss! Ich hole ihn zurück!«
Die Flammen erloschen auf Seraphins Haut, Grim sah noch den Schimmer, der durch dessen Augen ging, etwas wie Erstaunen vielleicht. Dann erhob er sich in die Luft. Seraphin folgte ihm nicht. Mit aller Kraft drängte Grim seine brennende Gestalt zurück, und als er das Meer der Menschen erreichte, das sich in scheinbarer Endlosigkeit bis zum Horizont zog, verschloss er sich vor der Stumpfheit ihrer Augen und der Willenlosigkeit ihrer Leiber. Er flog so schnell, dass sie vor seinem Blick verschwommen, und als endlich die Grenze Braskatons vor ihm auftauchte, war sein Herz nichts mehr als ein rasender Klumpen Fleisch, der heftig gegen seinen Brustkorb schlug.
Schwingenrauschend landete er vor den Flammen des Totenreichs. Verführerisch glitten sie ineinander, zerstoben zu glitzernden Funken und schmiegten sich eng an die Fratzen der Dämonen, die von der anderen Seite in die Traumwelt drängten. Langsam trat Grim vor. Er wich nicht zurück, als die Krallen der Car’lay Ythem nach ihm schlugen, und grub die Klauen in die Flammen. Er hörte das Brüllen tief in sich, und als er die Ketten zerriss, verschmolz die Kraft der Flamme mit seiner Magie und jagte als goldenes Feuer durch seinen Körper. Donnernd brach es aus ihm heraus, er begann zu brennen, als er in die Grenze einfuhr, und während er sie in seinem Licht verzehrte, sah er die Schönheit Braskatons, die reißenden Flüsse, die berstenden Gebirge, Himmel und Wolken aus Elfenbein und Meere aus gefrierendem Regen, er sah Abgründe aus dem Feuer wachsen und hörte die Schreie der Verbannten, und als er den Wind über einem Gebirge aus Asche auf seinem Leib fühlte, da sah er die Flügel über sich, gewaltig und schwarz. Er spürte ihren Hauch auf seiner Stirn, doch im nächsten Moment war er selbst es, der die Luft zum Gefrieren brachte, der Türme aus sterbenden Leibern erschuf und Meere aus Blut und Gedärmen. Er hörte das Donnern des Flusses, der durch die Wüste der Farben brach, und als er die Schwingen spannte und sie die Welt mit grauen Schatten überzogen, da wusste er, dass er Aryon war, der Cherub der tausend Flügel, der Wächter des Berstenden Meeres und das Auge über den Siechenden und Kranken – der Herrscher Braskatons mit den Schwingen aus Asche und Nacht. Er war der Stachel im Fleisch der Finsternis, er war das Herz der Totenwelt, und als er seine Kreaturen auf sich zustürmen sah, entstellte Kinder des Zorns, deren Macht die schwächeren Dämonen um sie herum in Fetzen riss, da spürte er ihre Schreie wie Stromstöße durch die Flammen Braskatons jagen. Ein Wort war es, das sie brüllten, ein Wort, das ihn mit Übermacht erfüllte. Arrmonghur.
Der Ruf der Car’lay Ythem riss Grim mit sich, er sah sich inmitten der flammenden Grenze stehen, die Dämonen rasten durch ihn hindurch, und mit jedem ihrer Gedanken, mit jedem Gefühl, das ihn bei ihrer Flucht in die Welt der Träume durchpulste, verschwamm ihr Bild stärker vor seinem Blick. Er hörte ihr Gebrüll kaum, als sie die Menschen befielen, aber er sah die Welt vor sich, die sie errichten würden: die Städte der Menschen, zerfallen zu Ruinen, entfesselte Meere und Wälder unter einem brodelnden Himmel. Und er sah sich selbst, wie er mit den Kindern des Zorns durch das Gewitter jagte, das ihre Macht über der Welt ausgoss. Mehr noch: Er war jeder einzelne Dämon, der ihn durchflog. Er wusste, dass er noch immer in den Feuern Braskatons stand, doch er erinnerte sich nicht, warum er gekommen war, und so raste er im Geist mit tausend Augen über die Erde dahin, durchflog Gebirge und Seen, Katakomben und Höhlen. Er war es, der die Welt in Brand setzte, alles, alles verwandelte sich in Feuer, und trotz der Hitze um ihn herum, trotz der Farben, die ihn umwehten und denen er neue
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