Grim
Schaudernd musste er zusehen, wie der Dämon über die Schutzkuppeln hinwegstrich und zahlreiche Menschen darin leblos zusammensanken. Graue Schleier verfärbten ihre Haut, Grim spürte, dass Verus ihnen die Kraft raubte, und glühender Zorn pulste durch seine Glieder. Er würde nicht zulassen, dass der Dämon sie tötete, so viel stand fest.
So schnell er konnte, raste er Verus nach, der nun senkrecht in den Himmel schoss, aber da ging ein Grollen durch die Luft, das Grim den Wind unter den Schwingen raubte. Er taumelte und sah den Dämon auf den Drachen der Burg hinabstürzen, als wäre er ein Stern, der vom Himmel fiel. Krachend fuhr Verus in die gewaltige Figur ein. Die Erde erbebte so heftig, dass zahlreiche Kämpfer das Gleichgewicht verloren – und im nächsten Moment brachen gleißende Flammen aus dem Drachenleib. Felsbrocken wurden durch Glutströme von seinen Gliedern gesprengt, und schließlich bäumte das Untier sich auf und brüllte markerschütternd. Funkenschwärme schossen über das Schlachtfeld, Grim wich einer Flammenwand aus und landete auf einem der Dächer, doch er konnte sich nicht von dem Bild abwenden, das sich ihm bot. Vor ihm, die mächtigen Klauen in die Burgmauern gekrallt, stand ein steinerner Drache, von goldenem Feuer durchwirkt. Rauschend breitete er seine Flügel aus und erhob sich in den Himmel. Jeder Schwingenschlag war wie ein Donnergrollen, und als er herumfuhr und Grim mit seinem Blick erfasste, jagten glühende Hitzeschleier über dessen Gesicht. Deutlich erkannte er Verus in dem gewaltigen Wesen, er hörte ihn lachen, kalt und grausam – und da riss der Drache den Schlund auf und spie einen riesigen Feuerball auf das Schlachtfeld hinab.
Schreie zerfetzten die Luft, die Ghrogonier wichen zurück angesichts der schrecklichen Feuersbrunst und die Körper der Menschen sahen aus, als stünden sie schon in Flammen. Grim zögerte nicht. In rasender Geschwindigkeit jagte er auf den Zauber zu, sog noch einmal die Rufe der Anderwesen in sich auf und die hilflosen Gesichter der Menschen – und hörte gleich darauf nichts mehr als das Tosen der Flammen um sich herum. Sie schlossen ihn ein, und als die Hitze seinen Schutzschild zerfraß und sich mit grausamer Macht in sein Fleisch grub, brach Verus’ Stimme durch die Schleier. Mit jedem Ton stob Grim ein heißer Atemzug entgegen, während er sich auf den eiskalten Flügeln seiner Flamme durch die Schichten des Feuers kämpfte, hinein in die stärkste Glut dieses Zaubers, dorthin, wo er nichts mehr war als ein weißer Funken.
Heimatloser Hybrid, raunte der Dämon. Du kämpfst gegen den, der dich erschaffen hat – gegen die einzige Stimme, die dich befreien kann!
Wieder lachte Verus, und dieser Laut errichtete die Katakomben Prags aus den Flammen, er ließ Grim den Qualm der Gefechte riechen und durchdrang die Luft mit fernem Kampfgebrüll. Grim fühlte den Sand unter seinen Klauen und das schmerzhafte Brennen in seiner Brust, das unter den kalten Fingern der Flamme langsam schwächer wurde. Er zwang sich, die Wirklichkeit hinter der Illusion zu erkennen, er wusste, dass er sich noch immer in Verus’ Zauber befand, doch plötzlich nahm er die Hitze kaum noch wahr. Wie ein Feuervogel raste er durch die Glut, unantastbar, als könnte er den Zauber mit einem einzigen Gedanken vernichten. Er fühlte Verus’ Blick auf seiner Stirn und sah seine Klauen auf dem Sand der Katakomben. Etwas Samtenes traf sein Gesicht, ein Schleier, der seine Erschöpfung linderte und ihn Atem holen ließ. Er flog durch die Flammen wie im Traum. Umso deutlicher nahm er die Dämmerung der Katakomben wahr und die Kälte in seinen Gliedern, die ihn ruhig werden ließ.
Sieh dich an, flüsterte Verus, als stünde er tatsächlich vor ihm. Hilflos bist du wie ein Kind der Menschen. Warum zögerst du? Warum wehrst du dich vor dem, was du sein kannst? Mehr ist das – viel mehr als alles, was jemals möglich war in dieser Welt! Der Dämon hielt inne, Grim wusste, dass er lächelte. Folge mir, sagte Verus dann. Sonst wirst du in meinem Feuer verbrennen – ebenso wie alles, was du liebst.
Für einen Moment hüllte seine Stimme Grim ein, er spürte, wie sie sein Kinn hob, damit er Verus’ Blick begegnen musste, aber ehe er noch dessen Lächeln sehen konnte, stieß er die Luft aus. Die Illusion um ihn zitterte, deutlich sah er dahinter die inneren Schleier des Zaubers auseinanderklaffen, durchbrochen von weißem Licht.
Du irrst dich, grollte er. Keine Flamme der Welt
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