Grim
Flüsterers neben ihr plötzlich zu. Eisern packte er Mias Arme, knisternd glitten die Sehnen des Zaubers auf ihre Beine zu und schlangen sich darum, bis Mia ihren eigenen Pulsschlag in ihnen fühlte. Lähmend drang das Gift des Rituals in sie ein, vergebens rief sie ihre Magie, und gerade, als sie merkte, dass ihre Gedanken ihr entglitten, dass es ihr immer schwerer fiel, die Dunkelheit zurückzudrängen, mit der das schwarze Blut sie tränkte, sah sie ein faustgroßes Tier durch eine der Adern auf sie zuschießen. Es hatte einen blutig glänzenden Leib, Spinnenbeine gruben sich durch die Haut der Ader, und als das Tier hervorplatzte, ein schleimiges Etwas mit acht eitrigen Augen, schwellendem Leib und einem Maul, das es mit gierigem Geifer aufsperrte und unzählige messerscharfe Zähne sehen ließ, da wusste Mia, dass es sie kontrollieren und alles auslöschen wollte, was sie war. Es würde ihr Hirn fressen – es würde sie zu einem Flüsterer machen.
Die Erkenntnis ließ sie schreien, wie von Sinnen zerrte sie an ihren Fesseln. Das Untier richtete sich auf, es schnarrte widerwärtig, während der Schmerz sie fast die Besinnung kostete. Wie in Trance nahm sie die Gestalt wahr, die vor sie sprang, hörte das Schwert, das die Luft zerriss und das Tier noch im Sprung zerfetzte, und spürte dann, wie sich die Sehnen und Adern von ihren Gliedern lösten und der Flüsterer sie freigab. Wie betäubt fiel sie zu Boden. Jemand hob sie auf und hielt ihren Kopf, und sie nahm einen Duft wahr, den Duft von Asche und Mohnblumen. Es war vollkommen still um sie herum, aber noch ehe sie ihn ansah, flüsterte sie in Gedanken seinen Namen.
Lyskian.
Alles war dunkel, und sie fühlte eine Leichtigkeit in ihrer Brust, die sie noch nie zuvor gespürt hatte. Sie wollte lächeln, doch Lyskian schaute sie ernst an, und sie erkannte einen seltsamen Glanz in seinen Augen. Erst da bemerkte sie, dass ihr Herz nicht mehr schlug.
Der Schreck war seltsam dumpf. Ihr Körper zitterte, doch ehe sie etwas sagen konnte, verwischte Lyskians Bild vor ihr. Sie wollte es festhalten, aber die Kälte zog sie mit sich, und erst jetzt, erst, als sie allein war in der Dunkelheit und sie ein Rauschen in der Luft hörte wie von einem düsteren Schwingenschlag, ergriff sie die Angst.
Nein , schoss es ihr durch den Kopf, und sie wusste, dass das vielleicht die letzten Gedanken waren, zu denen sie noch fähig war. Sie sah ihre Mutter vor sich, Josi, Jakob, sie sah die Sonne, grünes Gras auf einer regennassen Wiese, den Mond, sie sah Grim, wie er lachte, weinte, schwieg, und sie formte mit letzter Kraft zwei Worte, die sie in die Dunkelheit sandte: noch nicht.
Im nächsten Moment packte sie etwas mit festem Griff. Sie fiel und schwebte zugleich, und sie fühlte etwas auf ihren Lippen, das so samten war und schwer, dass sie nicht widerstand. Eine leise Stimme in ihr rief ihr zu, lieber in die Finsternis zu stürzen als von dieser Nacht zu trinken, doch sie hörte nicht auf sie. Erneut wallten die Bilder der Wesen in ihr auf, die sie liebte, und sie spürte die Schatten lockend über ihre Wangen streichen. Wie oft hatte sie am Abgrund gestanden, wie oft hatte sie sich vornüber in den Sturm gelehnt und sich danach gesehnt, sich abzustoßen und zu springen? Die Dunkelheit war ein wehendes Tuch auf ihrem Gesicht, zu nah war sie ihr, als dass sie noch zurückweichen konnte, und sie breitete die Arme aus und stürzte sich vor, mitten hinein in das, was sie vernichten konnte. Es war, als würde sie Atem holen, und da drang die Dunkelheit in sie ein, zärtlich und gewaltsam zugleich, und sie fühlte Mohnblüten auf ihre Haut fallen und hörte Lyskians Atem durch die Stille. Sie wusste, dass es sein Blut war, das sie trank, und sie sah ihn vor sich, lächelnd in den Gassen von Paris, wartend im Regen vor dem Atelier, den Blick in die Ferne gerichtet und in Gedanken doch bei ihr. Sie wusste, dass sie ihren Weg nicht allein gehen musste, dass sie einen Teil von ihm nehmen und ihm einen Teil von sich geben konnte, es erschien ihr auf einmal so leicht, so selbstverständlich. Als sie die Augen öffnete, lag sie in seinen Armen. Über ihnen spannte sich ein Himmel ohne Sterne, und er schaute sie an, ohne jedes Lächeln und doch so sanft, dass sein Gesicht nichts mehr war als reine Schönheit. Sie spürte seine Kälte in ihren Gliedern wie eine zärtliche Berührung. Sie könnten für immer bleiben in diesem Feld aus Mohn und sie wären niemals wieder … allein.
Sie sah
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