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Grim

Grim

Titel: Grim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Schwartz
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Käuzchens, und der Himmel stand über ihnen, als wären in ihm Ölfarben in Leim gegossen und mit feinen Pinseln durcheinandergezogen worden. Mit hellem Schrei bildete sich ein Adler aus den Farben und flog über den Wald hinweg. Farbtropfen fielen wie Blut aus seinem Gefieder und färbten die Bäume rot. Im nächsten Moment ging ein Dröhnen durch den Boden, tief und grollend wie das Brüllen eines Tigers. Panisch griff Remis nach Grims Ohr und kniff schmerzhaft hinein. Ärgerlich wischte er den Kobold von seiner Schulter.
    »Es kann gut sein, dass wir gerade auf dem Kopf eines Tigers stehen, dem eine Wiese aus dem Schädel wächst«, sagte er und fixierte Remis mit seinem Blick, der ihn ansah, als hätte er den Verstand verloren. »Genauso gut können sich hundert Löwen dort hinten im Wald verstecken, oder dreitausend Kobolde, die sich vor Angst in die Hose machen und uns mit dem Gestank ersticken wollen. Dies ist die Welt der Träume. Nichts ist, wie es scheint. Wenn du klug bist – oder wenigstens so tun willst, als wärest du es – , dann solltest du deine Angst vergessen und das tun, was man von dem Leiter der Spürnasen erwartet: den Fremden finden. Je schneller wir wieder von hier verschwinden können, desto besser für dich. Es gibt Welten, die nicht für das Gehirn eines Kobolds geschaffen sind, und diese gehört dazu.«
    Remis war zu aufgeregt, um auf die Sticheleien zu reagieren. Eilig schwirrte er näher an Grim heran, und während er die Nase witternd in die Luft hob, bewegten sich seine Augen von links nach rechts, als erwartete er jeden Moment die Löwen und die Kobolde, von denen Grim gesprochen hatte. Doch je stärker die Düfte der Traumwelt in seine Nase drangen, desto deutlicher bildete sich eine Falte zwischen seinen Brauen, die zeigte, dass er sich konzentrierte. Und wenn ein Kobold das tat, war für Gefühle wie Furcht kein Platz mehr. Remis schloss die Augen und vollführte mit den Armen eine Reihe seltsamer Bewegungen. Grim presste die Zähne aufeinander. Wiederholt war er nun schon Zeuge kleinerer Darbietungen von Remis’ Können in der Kampfkunst der Elfen geworden und hatte jedes Mal an einen Höhlentroll bei Yogaübungen denken müssen, so verquer sah es aus. Die Kampfrichtung, in der Remis gerade unterwegs war, nannte sich Pfad der Grünen Faust , ein Name, der es für Grim auch nicht leichter machte, da er ständig an einen grünen Daumen und Remis mit Gärtnerschürze denken musste. Und auch jetzt konnte er gerade noch ein Grinsen unterdrücken, als Remis die Augen aufriss und mit todesmutiger Beherztheit hinüber zum Wald deutete.
    Der Kobold flog an seiner Leine voran, Grim und die anderen folgten ihm. Ein Schwarm fliegender Schachfiguren stob aus einem Busch, als sie den Waldrand erreichten, und auf den Ästen der Bäume saßen kristallene Schmetterlinge, die aus bebrillten Augen zu ihnen herabschauten. Das Moos war weich unter Grims Füßen, aber er wusste, dass es kein Wald war, den er sah. Es war nicht mehr als eine Ahnung in den Kammern des Schlafs, ein Wispern, das durch die Gedanken der Menschen strich und sie über die eigenen Grenzen trieb, in der Gewissheit, nicht abzustürzen, und es ließ ihn schweben, weil er zwischen allem stand, selbst zwischen Traum und Wirklichkeit. Denn nichts in dieser Welt war real, und doch war alles in ihr wahr – so sehr, dass sie einem unvorsichtigen Kobold mit einem scharfen Blütenblatt den Kopf vom Hals trennen konnte. Mit einem Ruck zog er Remis zu sich heran, der mit verzaubertem Ausdruck vor einer Blüte geschwebt und hineingesehen hatte, als würde darin ein Tablett mit Pralinen und keine giftige Schlange auf ihn warten.
    Du möchtest nicht wissen, was du gerade gesehen hast , sagte Grim in seinen Gedanken und zerschlug damit den verklärten Ausdruck auf Remis’ Gesicht. Kurz wurden die Augen des Kobolds kreisrund, Grim konnte sehen, dass er mit sich kämpfen musste, um sich nicht umzudrehen. Dann nickte er und holte tief Atem.
    Ich bin hier, um etwas zu riechen , erwiderte er, doch es klang, als müsste er sich selbst daran erinnern. Nicht, um etwas zu sehen.
    Damit schloss er die Augen, reckte die Nase wieder in die Luft und folgte der Spur blind zwischen den Bäumen hindurch. Vereinzelt lockte ihn ein anderer Duft von seiner Fährte, doch Grim achtete auf jede seiner Bewegungen und zog ihn immer wieder zurück. Gerade hatten sie eine Lichtung überquert, deren Gras von modrigen Stoffballen bedeckt wurde, als eine Reflexion im

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