Grim
fordern? Während er sie hielt, spürte sie seine Gier und die Kälte, die in ihren Leib strömte, und sie bemerkte die Schatten der Ohnmacht, die an den Rändern ihres Bewusstseins aufzogen. Du bist schwach. Ihre Beine gaben unter ihr nach. Sie war nicht mehr als eine wehrlose Puppe in Srradans Armen. Er löste seinen Griff und im selben Moment sprach Lyskian weiter. Doch nicht so schwach, wie ein Vampir denkt.
Entschlossen riss sie die Augen auf, sie sah noch den Schreck, der trotz der Reglosigkeit durch Srradans Blick flammte. Dann stieß sie ihre rechte Hand vor, so rasch, dass er nicht zurückweichen konnte, und erwischte ihn mit einem gewaltigen Sturmzauber. Krachend prallte er gegen den metallenen Käfig, und die Streben zerbrachen unter der Wucht seines Körpers. Der Werwolf sprang brüllend aus seinem Gefängnis und brach mit einem Satz durch das Fenster. Heftiger Wind stob herein, doch Mia achtete nicht darauf. In rasender Geschwindigkeit ergriff sie die Fackel am Rand des Kreises, setzte sie in weißes Licht und sprang auf Srradan zu. Taumelnd war er auf die Beine gekommen, doch sie schlug ihm die Fackel ins Gesicht und brachte ihn zu Fall, und noch ehe er sich erneut aufrappeln konnte, packte sie seinen Arm und drehte ihn auf den Rücken, dass seine Knochen knackten. Er brüllte vor Schmerz, ein seltsames Gefühl der Genugtuung flutete Mia und riss jede Verwundbarkeit, jede Erschöpfung mit sich. Blitzschnell trat sie ihm in den Rücken. Er landete auf dem Boden, sie schickte einen Frostzauber in seinen Körper und presste die Hände an seine Schläfen.
Eiskalt war die Finsternis seines Geistes, und als sie in ihn eindrang, hörte sie auf zu atmen, wie Lyskian es sie gelehrt hatte. Sie verschloss sich vor der Dunkelheit des Vampirs, ließ nicht zu, dass sie in die Abgründe stürzte, die so sehnsüchtig nach ihr riefen, aber sie durchdrang seine Gedanken, seine Erinnerungen, und sie sah die Bilder, die glänzend wie nasse Steine aus der Schwärze brachen. Bruchstücke waren es zumeist, die Gesichter von Menschen, von Anderwesen, die kalten Augen von Vampiren – sie sah mächtige Wälder im Osten der Welt, roch feuchte unterirdische Verliese, hörte die Schreie von gefolterten Wölfen, spürte Blut in ihrem Mund und empfand, was Srradan gefühlt hatte in diesen Momenten, kurz und heftig wie Nadelstiche. Und dann fand sie ein Bild in den Schatten, klein war es und halb verblasst, aber sie spürte Srradans Gier, als er den Duft menschlicher Haut wahrnahm – und dann sein Entsetzen, seine Scham und Verzweiflung. Rasch umfasste sie dieses Bild mit ihrem Willen und riss es mit sich aus der Dunkelheit.
Sie hielt die Augen geschlossen, und während sie Srradan mit der linken Hand im Nacken packte und ihren Lähmungszauber verstärkte, riss sie die rechte Hand empor. Eilig glitten ihre Finger durch die Luft, sie zeichnete die Erinnerung des Vampirs, die brennenden Häuser der Stadt, die Straße, auf deren Steinen die Flammen tanzten – und das Kind, das erschrocken in der Ecke eines Zimmers stand, von Funken umtost, und zu ihr herüberstarrte. Sie war es nicht, die auf das Kind zutrat, das wusste sie, doch sie fühlte Srradans Gier so übermächtig in sich, dass sie nur unter Aufbietung aller Kräfte mit ihrer Zeichnung fortfahren konnte. Sie spürte, wie er die Zähne in den Hals des Kindes grub, hörte dessen Herzschlag überlaut in ihren Ohren, sie schrie, doch sie konnte ihre Stimme nicht hören, sie nahm nur die Stille wahr, die sie auf einmal ausfüllte – die Stille des Todes, die von Srradans Keuchen zerrissen wurde. Nichts als Schmerz war mehr in ihm, und als Mia die Augen aufriss und ihm seine Empfindungen von einst tausendfach so stark zurückschickte, da schrie er so markerschütternd, dass die Spiegel an den Wänden splitterten.
Sie sah auf Srradan herab, er schaute sie an wie erstarrt. Und dann, in einer einzigen lautlosen Bewegung, brach er zusammen und begann zu weinen. Das Bild des Kindes, das er getötet hatte, stand in flammenden Strichen vor Mia in der Luft, und sie sah das Feuer über die Züge der Vampire tanzen. Sie hatten Srradans Schrei gehört, sie wussten, was geschehen war. Ein sanfter, trauriger Schleier legte sich auf ihre unsterblichen Gesichter wie die Sehnsucht nach etwas, das unwiederbringlich verloren war und das sie sich dennoch trotz jeder Qual, die es bedeuten mochte, stärker als alles andere zurückwünschten. Wortlos trat Mia in die Mitte des Kreises. Die Vampire
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