Grimes, Martha - Inspektor Jury 17 - Die Trauer trägt Schwarz
faul, obwohl sie manchmal dablieb, bis es dunkel wurde. Manchmal war sie bis spät abends im Gewächshaus, bloß als Ausrede, um nach Einbruch der Dunkelheit noch auf dem Gelände bleiben zu können. Ich glaube, sie kam auch ins Haus und, äh, suchte in Sachen herum, in Papieren und so. Allerdings hat sie wohl nie etwas entwendet, zumindest habe ich nie etwas vermisst. Sie war übrigens auch ganz schön kokett.«
»Wem gegenüber?«
»Na, Ian zum Beispiel. Ich weiß, für einen Flirt mit einer wie Jenny Gessup ist er viel zu alt. Er sieht aber viel jünger aus, als er ist, und bei manchen Frauen spielt das Alter ja keine Rolle.«
»Würde es aber, wenn sie sein Interesse erwecken könnte. Er ist ein wohlhabender Mann.«
»Aber das ist doch lächerlich. Für einen Mann wie Ian -« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Und mit Archie hat sie auch dauernd angebandelt und ihn von der Arbeit abgehalten. Archie Milbank, der ist hier sozusagen das Faktotum. Kümmert sich um Reparaturen und solche Sachen.«
Als sie sich abwandte, sah Jury, wie sich ihr Profil im blassen, goldenen Licht abzeichnete. Ihr dunkles Haar war wie mit einem Netz überzogen. Außerdem sah sie viel jünger aus, als sie war; das taten sie übrigens alle. Manchen Leuten sah man das Alter nicht an. Einem jungen Menschen kam fünfzig schon uralt vor. Wenn die Jungen nur wüssten, wie schnell es bei ihnen auch so weit war.
Jury sagte: »Simon Crofts Schwester Emily. Sie lebte doch hier bei Ihnen, zumindest eine Zeitlang?« Als sie daraufhin nur nickte, sprach er weiter. »Sie lebt nun in einer Einrichtung für betreutes Wohnen in Brighton?« Den Euphemismus fand Jury einfach köstlich.
»Emily? Ja, das stimmt.«
»Warum? Sie könnten sich doch häusliche Pflege leisten, wenn das nötig wäre.«
Sie wandte sich mit verschränkten Armen zu ihm herüber. »Das lässt sich nicht so leicht erklären. Selbstverständlich könnten wir uns eine Hauspflege leisten. Emily hat ein Herzleiden, das sich zusehends verschlimmert, aber nicht ständig überwacht werden muss, wenigstens vorerst noch nicht. Ihr Arzt wollte, dass immer jemand bei ihr ist, für alle Fälle. Weil sie sich weigerte, jemanden in ihre Wohnung zu nehmen, wollten wir sie zu uns holen. Sie kehrt gelegentlich in ihre Wohnung zurück, aber immer nur für kurze Zeit.«
»Sie haben Recht, das erklärt es nicht.«
Maisie seufzte und spielte mit der Vorhangquaste herum. »Emily und Kitty haben sich einfach nicht verstanden.«
Jury wartete in der Annahme, dass noch etwas kommen würde. Als nichts kam, sagte er: »Nun gehört Mrs. Riordin ja zum Hauspersonal. Und statt jemanden von den Bediensteten wegzuschicken, würden Sie eher eine Frau wegschicken, die ja im Grunde genommen zur Familie gehört?« Sie errötete. Wie um sich zu verteidigen, fuhr sie fort, über die »Einrichtung« zu reden. »Eigentlich ist es dort sehr nett. Sie hat ihre eigene Wohnung, ist also wirklich unabhängig.«
Jury konnte dieses Herumrationalisieren nicht leiden. »Ich verstehe nicht, wie, wo sie doch betreut werden muss.«
»Ja. Nun ja. Es heißt St. Andrew's Hall.«
»Ich weiß. Ich war bereits dort.«
Maisie war verblüfft. »Sie waren dort? Dann haben Sie also schon mit Emily gesprochen. Ich bin sicher, sie hat Ihnen von ihrem Leiden erzählt. Wieso stellen Sie mir dann diese Fragen?«
»Das tun wir bei der Polizei eben.« Sein Lächeln war eisig.
»Großvater wollte nichts davon hören, dass Kitty gehen sollte. Ich habe Ihnen ja gesagt, wie sehr er an ihr hängt.«
Das klang nicht nach dem Oliver Tynedale, den Jury kennen gelernt hatte. Er hätte nie zugelassen, dass eine von den Crofts abgewiesen wurde, nur weil Kitty Riordin sie nicht leiden konnte. »War er denn informiert?«
»Wie bitte?«
»Kannte Ihr Großvater den Grund für Emily Crofts Weggang?«
»Nein.«
Es herrschte Schweigen, während sie sich wahrscheinlich vorstellte, wie es gewesen wäre, wenn sie diese Frau kaltherzig weggeschickt hätten, die wohl so etwas wie eine Ersatztante für sie gewesen war. Im Übrigen staunte er, welch starken Einfluss Kitty Riordin auf die Familie hatte.
»In St. Andrew's Hall ist es wirklich recht nett. Es liegt direkt am Meer. Ich fand das Meer schon immer eine Art Balsam für die Seele.«
Jury stand auf. »Das fand Virginia Woolf auch. Eine Zeitlang jedenfalls.«
Der frisch gefallene Schnee war in kleinen Ablagerungen zwischen die weißen Säulen der Kolonnade geweht und haftete an den Zypressen,
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