Grimes, Martha - Inspektor Jury 17 - Die Trauer trägt Schwarz
an. »Dann irren Sie sich, fürchte ich.«
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»Ich hab meinen Mantel an und Geld dabei«, sagte Gemma. Aus der Manteltasche zog sie einen kleinen, glänzend blauen Geldbeutel mit Reißverschluss hervor, den eine leuchtend pinkrosafarbene Plastikblume zierte. Sie saß mit Benny auf der Holzplanke in der Buche.
»Ich kann dich aber nicht mit zum Piccadilly nehmen«, sagte er voller Schuldgefühle. »Ich bin zu - beschäftigt.« Er war zu jung, wollte er sagen. Nicht, was ihn selbst betraf- er hätte zehnmal zum Piccadilly Circus und zurück fahren können. Er war zu jung, um für Gemma die Verantwortung zu übernehmen, meinte er damit. Man würde es ihm nie erlauben. Er musste lachen. Zu jung, um die meisten Dinge zu tun, die er in Wirklichkeit tat. Die Sache war nun aber die, dass Benny die Schaufenster bei Fortnum & Mason auch sehen wollte.
»Es sollen wirklich die besten Weihnachtsfenster sein, die es gibt, hab ich gehört.« Trotzdem war er besorgt, es könnte ihr etwas zustoßen.
»Ich weiß. Willst du sie denn nicht sehen?«
Er zuckte die Achseln. »Ich hätte nichts dagegen.«
»Also, dann los.«
Er seufzte. »Gemma, die würden dich nie mit mir weglassen, auch wenn wir hin und zurück ein Taxi nehmen.« Er hatte gesehen, dass sie in dem Geldbeutelchen eine Menge Geld hatte. Bestimmt genug für Taxis, dachte er sich.
»Dann frag eben nicht.«
Benny seufzte wieder. Er hatte Sparky dabei beobachtet, wie er übers Gelände stromerte, an Pflanzenstrünken und Hecken stehen blieb und schnüffelte, als wäre er noch nie in diesem Garten gewesen. Jetzt ging er gerade ins Gewächshaus. Er hatte um die Blumenbeete herum noch nie gegraben; in der Beziehung war er sehr brav, aber manchmal musste man ihn im Auge behalten. Mr. Murphy konnte Hunde sowieso nicht besonders leiden.
»Es sind bloß noch drei Tage bis Weihnachten.«
Sie zupfte an einer Naht an Richards blauen Hosen herum. Ein Stück von dem überschüssigen Stoff hatte sie abgeschnitten und die Hosenbeine hochgenäht, die nun fächerförmig abstanden und immer noch zu weit waren. Ihre Nähkünste
waren nicht sehr berühmt. »Das hab ich genäht. Gefällt's dir?« Sie drehte Richard langsam herum, damit seine Ausstattung von vorn bis hinten besichtigt werden konnte.
»Viel besser als das alte Nachthemd. Aber hättest du nicht blauen Faden nehmen können statt weißen?«
Gemma sah ihn skeptisch an. »Vielleicht.« Dann fügte sie hinzu: »Ich hab aber keinen gefunden.« Sie hatte überhaupt nicht gesucht.
»Sieht nett aus.«
»Er braucht neue Kleider für Weihnachten. Einen Regenmantel.«
»Ähä.«
Gern zupfte immer noch an dem Faden herum.
»Denkst du an deine Mutter?« Sie sprach mit gedämpfter Stimme. Benny war überrascht.
»Manchmal.«
Sie hob den Blick von den Hosen und sah ihm in die Augen.
Schrecklich, wenn jemand merkt, dass man lügt, dachte Benny. »Okay ganz oft.« Jetzt hörte sich seine eigene Stimme seltsam an; sie klang hohl.
»Würd ich auch, wenn ich mich an sie erinnern könnte. Ich weiß nicht mal mehr, wie sie aussah.« Benny dachte einen Augenblick nach. »Wie du. Denk an dich, bloß älter. Weißt du, wem du ähnlich siehst? Maisies Mutter. Erinnerst du dich, wie du mir mal ein Foto von ihr gezeigt hast?«
Gemma runzelte die Stirn. »Dann seh ich ja aus wie Maisie. Will ich aber nicht.«
Benny wollte es auch nicht. Er schüttelte den Kopf. »Nein, nein. Wie ihre Mutter. Wie Mr. Tynedales Tochter siehst du aus. Maisie sieht eigentlich gar nicht aus wie sie, obwohl sie die dunklen Haare hat und so. Aber ihr Gesicht hat nicht die gleiche Form. Das Gesicht von Maisies Mutter ist herzförmig. Und deins auch. Es ist wie ein kleines Herz.«
Gemma legte Richard hin und befühlte ihr Gesicht. »Das glaub ich aber nicht.«
»Gern, herzförmig kann man nicht fühlen. Schau einfach in den Spiegel.«
»Okay«, sagte sie. Sie guckte ein Weilchen in Richards Gesicht und sagte dann: »Ich glaub nicht mehr an den Weihnachtsmann. Früher natürlich schon.«
Das ärgerte Benny. »Also, wie lang her ist >früher Ich mein, sehr lang kann's nicht her sein, du bist schließlich erst neun.«
»Fast zehn. Ich bin jetzt so gut wie zehn.«
»Wie lang ist es dann her? Dass du an den Weihnachtsmann geglaubt hast?«
»Lang. Als ich fünf war.«
Das ärgerte Benny aber wirklich gewaltig. Er glaubte zwar auch nicht mehr an den Weihnachtsmann, war aber so viel älter als sie. Er hatte sich darauf gefreut, ihr von ihm zu erzählen - davon,
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