Grimes, Martha - Inspektor Jury 17 - Die Trauer trägt Schwarz
fast entschuldigend die Achseln.
»Dann hätten Sie aber nicht -« Jury drückte es anders aus: »Wie oft haben Sie Ihren Bruder in den letzten zwei Monaten gesehen?«
Marie-France überlegte. »Einmal bei ihm und einmal hier. Das letzte Mal war, ach, schon Anfang November.«
»Kam er Ihnen irgendwie verändert vor?«
Sie sah ihn erstaunt an. »Nein. Wir bleiben uns eigentlich alle immer ziemlich treu. Langweilig, aber zuverlässig.«
»Einige Leute, mit denen ich gesprochen habe, hatten den Eindruck, er hätte vor irgendetwas oder irgendjemandem Angst. Das ging fast bis zum Verfolgungswahn.«
Das Lächeln, mit dem sie Jury bedachte, hätte sogar die goldenen Schmetterlinge vom Kaminschirm weg hexen können.
»Mr. Jury, so etwas Lächerliches habe ich noch nie gehört.«
Sein Lächeln stand ihrem in nichts nach.
»Vielleicht. Aber vergessen Sie nicht, Sie haben ihn nur zweimal gesehen, das letzte Mal vor über einem Monat.«
»Meine Meinung basiert nicht darauf, ob ich ihn gesehen habe, sondern darauf, dass ich Simon gut kenne. Er war der unbefangenste Mensch, den ich kannte, der gelassenste. Simon und Verfolgungswahn, das passt einfach nicht zusammen. Wer hat denn behauptet, er hätte Angst gehabt und warum ?«
»Er bat DCI Haggerty, sooft wie möglich bei ihm vorbeizuschauen. Ihr Bruder schien sich vor jemandem zu fürchten. Er ließ keine Geschäftsleute ins Haus, auch keine Familienmitglieder. Maisie Tynedale, zum Beispiel.«
»Aber er hat nicht gesagt, wovor er sich fürchtete?«
Jury schüttelte den Kopf.
Sie seufzte. »Was Geschäftsleute betrifft, also, für den Fleischer und den Bäcker lege ich auch nicht den roten Teppich aus. Und Maisie -«
Sie wandte den Blick ab und machte eine abwehrende Geste. »Die konnte Simon noch nie leiden.«
»Warum nicht?«
»Er fand sie einerseits aufdringlich, andererseits kriecherisch. Und wahrscheinlich noch einiges dazwischen.« Sie nahm die silberne Kaffeekanne und schenkte Jury nach. Aus einer Silberkanne und feinem Porzellan schmeckte der Kaffee besser, keine Frage.
»Und Sie? Ist das auch Ihre Meinung?«
»Über Maisie? Ja, ich finde sie sehr kühl.«
»Und ihr Großvater? Wie steht er zu ihr?«
»Bei Oliver weiß ich nicht recht. Maisie ist nicht nur Alexandras Tochter, sondern auch noch das einzige Enkelkind. Zwei Gründe für ihn sie anzubeten.« Sie runzelte die Stirn. »Das tut er aber eigentlich gar nicht. Sie anbeten, meine ich. Jedenfalls nicht so wie dieses kleine Mädchen, Gemma. Die ist allerdings auch erst acht oder neun. Als Maisie neun war, empfand Oliver vielleicht das Gleiche... « Sie zuckte die Schultern.
»Die Einzige, die anscheinend mit Maisie auskommt, ist diese Riordin. Ich kann sie überhaupt nicht leiden. Sie hat beinahe etwas, hm, Unheimliches an sich. Als ganz junge Frau hat sie schon beschlossen, ihr ganzes Leben im Lodge zu bleiben. Ich finde das höchst seltsam.«
»Sicher glaubt sie, dass dabei etwas für sie herausspringt. Ich kann mir denken, sie rechnet damit, wenigstens einen Teil von Mr. Tynedales Vermögen zu erben. Sie nicht?«
»Ja, zu erben gibt es bestimmt etwas, aber wohl nicht so viel, dass man dafür sein Leben verpfänden sollte.« Sie seufzte und nippte an ihrem Kaffee.
Jury beugte sich vor. »Ist Ihnen schon einmal die Idee gekommen, dass vielleicht mehr dahinter steckt?«
»Wie meinen Sie das?« Sie sah zum Fenster hinüber, als wäre dort eine neue Sichtweise zu finden. »Du liebe Güte, wollen Sie damit andeuten, die beiden hatten ein Verhältnis?«
Jury lachte. »Darauf wäre ich nicht gekommen. Sollte ich vielleicht.«
Mit einem Seitenblick auf Jury sagte sie: »Nein, sollten Sie nicht. Ich frage mich, wie ich darauf komme. Oliver ist einfach nicht - ach, ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. So einer ist er jedenfalls nicht, das können Sie mir glauben. Was meinten Sie denn damit?«
In Anbetracht der Tatsache, dass Ian Tynedale und MarieFrance sowohl Maisie als auch Kitty Riordin nicht mochten, dabei aber offenkundig intelligente Menschen waren, überraschte es ihn, dass sie sich über Maisies Herkunft gar keine Gedanken machten. Allerdings waren sie auch ziemlich weltfremd; vielleicht konnten sie schlicht und einfach nicht begreifen, dass etwas so Ungeheuerliches wie dieser Schwindel mit der falschen Identität mehr als ein halbes Jahrhundert durchgehen konnte.
»Ich weiß auch nicht. Ich fische noch herum.«
»Dann brauchen Sie aber ein paar bessere Köder, Superintendent.« Der
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