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Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor

Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor

Titel: Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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die übrigen Mitglieder der Band schienen vorübergehend irritiert vom Anblick der jungen Frau.
    Los, Mary Lee, mach schon!
    Na endlich. Sie schnappte sich ein Mikrophon und rief: »Meine Damen und Herren! Staaan KEEEELER!«
    Wenn Stan Keeler einmal in Fahrt war, dann aber richtig. Er kam so rasch aus den Kulissen gesaust, daß er die letzten Meter auf Knien rutschte, ehe er zum Halten kam, und bereits im Aufstehen griff er in die Saiten.
    Die Leute dicht bei Jury, die durchzudrehen drohten, waren hin und her gerissen zwischen Angst, Staunen und Entzücken.
    Keeler brauchte lediglich die berühmten Akkordsequenzen zu »Main Line Lady« zu spielen, und schon hatte er alle in seinen Bann geschlagen.
    Niemand drängelte mehr zum Ausgang, alles schob nach vorn, hielt den Atem an, und als die Frau wieder loskreischte, sah Jury, wie eine Hand hochschnellte und sie auf ihren Sitz drückte.
    Mittlerweile hatte auch die Band eingesetzt.
    Stan Keeler höchstpersönlich und in concert mit Sirocco ?
    Was war dagegen irgendein herumballernder Irrer?
    Der Polizeikrankenwagen hatte eben - ohne Martinshorn - mit seiner Fracht die Zufahrt zum Hintereingang verlassen, und die paar Roadies und der Fahrer der großen Limousine starrten mit offenem Mund hinter ihm her. Die Sicherheitspolizei war in ihrem Element, obwohl nicht ganz klar war, um welches Element es sich handelte. Die Beamten schienen enttäuscht, daß keine Menschenmassen abgesperrt und zurückgehalten werden mußten, daß es keinen wilden Haufen irrer Punks und Rockfans gab, die alles in vorderster Linie mitbekommen wollten. Abgesehen von einer einzigen Bahre, die von zwei Sanitätern in Zivil getragen wurde, und von einem jüngeren Mann, den zwei andere stützten, hatten sie noch nie jemanden so klammheimlich aus dem Bühneneingang schlüpfen sehen, nicht einmal die Stars selber.
    ... deren Konzert seinen Gang nahm. Jury, Plant, Macalvie und Wiggins hockten in einem der Lieferwagen für technisches Zubehör auf Verstärkern und Kästen und ließen sich von Mary Lee mit Tee in Bechern und altbackenen Sandwiches verwöhnen. Die war nun wirklich in ihrem Element.
    Sie hielt einen Augenblick für einen jungen Mann still, der ein Foto von ihr machen wollte und von sich behauptete, Fotograf bei Kregarrand zu sein, in Wirklichkeit aber zu Jurys Spurensicherung gehörte und seine Doppelrolle sichtlich genoß.
    Jury sah den Polizeipathologen aus dem Bühneneingang kommen und sprang aus dem Auto.
    Dr. Phyllis Nancy war für Jury als Ärztin absolute Spitze, aber er hatte sie nicht nur deshalb angefordert, weil sie in Lichtgeschwindigkeit arbeiten, sondern weil sie eine Situation intuitiv erfassen konnte, etwas, was ihren Kollegen abging.

Andererseits aber war Phyllis Nancy eine gespaltene Persönlichkeit; sie tat so, als lehnte sie ihre Weiblichkeit ab, und trug streng geschnittene Kostüme und kleine Kordelschlipse. Außerhalb des Dienstes jedoch tat sie sich keinerlei Zwang an.
    Als sie auf Jury zukam - zuschlenderte -, war klar, daß sie dienstfrei hatte. Unter ihrem Pelzmantel lugte ein langes grünes, vorn geschlitztes Abendkleid hervor. Auf die Tatsache, daß man sie angefordert hatte, reagierte sie ebenso widersprüchlich.
    »Mitten aus einer Vorstellung von La Bohème herausgeholt, Superintendent. Mit Pavarotti. Loge, eine Flasche himmlischer Chablis -«
    »Kenne ich. Den Sänger, meine ich, nicht den Wein.« Er lächelte.
    Phyllis Nancy blickte erst nach rechts, dann nach links, dann zum Himmel. Überallhin, nur nicht Jury in die Augen, während sie sich fester in den Pelzmantel hüllte. In einer Hand hielt sie eine schwarze Abendtasche. »Das Opfer ist in einem kritischen Zustand. Wahrscheinlich vier Rippen gebrochen, eine hat die Lunge perforiert, demzufolge innere Blutungen und Blut aus Ohr und Mund. Das rechte Handgelenk ist gebrochen, ein Splitterbruch, der Knochen ist sichtbar. Eine Schläfe hat einen Schlag mit einem stumpfen Gegenstand abbekommen, im Blut finden sich Splitter von den Wangenknochen ...«
    Jury hörte Dr. Nancy geduldig zu. Normalerweise waren ihre Berichte wie ihre prosaischen, adretten Kostüme: knapp, stakkato, atonal. Abgetrennte Gliedmaßen wurden geprüft und eingesammelt wie Muscheln. Aus unerfindlichen Gründen schien es ihr Spaß zu machen, Jury mit Grand-Guignol-Effekten zu kommen, wenn sie Bericht erstattete. Diesen hier schloß sie mit der Frage, was zum Teufel hier gespielt würde; gleichzeitig zog sie ein Zigarettenetui aus ihrer

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