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Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor

Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor

Titel: Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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du?«
    »Abby.« Das schoß nur so heraus. »Ich will meine Katze haben.«
    »Und der Doktor hat gesagt, du kannst sie abholen? Na schön. Wie heißt sie?«
    »Buster!« sagte das Mädchen mit noch lauterer Stimme, fuhr herum und marschierte zu Melroses Bank, wo sie neben ihm Platz nahm, jedoch möglichst viel Abstand hielt. Sie saß mit fest vor der Brust verschränkten Armen, die Hände zu Fäusten geballt, und starrte vor sich hin.
    Die Sprechstundenhilfe schüttelte unwillig den Kopf über ein so unleidliches Kind und rief quer durchs Zimmer: »Er ist also in der Klinik?« Ihr Bleistift stach in Richtung Decke.
    »Sie ist tot!«
    Flink wechselte die Sprechstundenhilfe die Tonart, denn nun wußten alle, daß Buster beim »Wahren Freund« eingegangen war. Die Reaktion der Kundschaft war vorauszusehen: Wir haben nichts gehört; sie hat nichts gesagt. Köpfe fuhren herum, wandten sich von der Furie mitten unter ihnen ab. Das Pärchen mit der gescheckten und geradezu penetrant lebendigen Katze räusperte sich einhellig und richtete den Blick zur Decke. Die Jaguarbesitzerin rutschte bis ans Ende ihrer Bank, beugte sich über die Lehne zu dem wütenden Kind, setzte eine mitleidsvolle Miene auf und versuchte, den Blick der Kleinen aufzufangen.
    Oje, dachte Melrose und ließ sich auf seiner Bank tiefer rutschen, es gibt doch immer wieder Menschen, die ihre Finger unbedingt in Steckdosen stecken oder Papageien aus der Wäschemangel ziehen müssen. Er ahnte, was kam.
    Zwar weigerte sich das kleine Mädchen, die gutgekleidete Frau oder ihren gräßlichen Pudel eines Blickes zu würdigen, aber die Frau ließ nicht locker. »Mach dir nichts draus, Liebes; du bekommst bestimmt bald ein neues Kätzchen.«
    Die Furien, Medea und Pandora zusammen hätten keinen wütenderen Blick zustande gebracht. Die Frau zuckte zurück, als hätte sie einen Kinnhaken bekommen, als die dunklen Augen des Kindes hochschossen und sich in ihre blaßblauen bohrten. Und der Donnerschlag, der ausgerechnet jetzt den Raum erzittern ließ, hörte sich für Melrose so an, als ob sich Gott so seine Gedanken machte über das mögliche Schicksal des Pudels.
    Die Frau konnte von Glück sagen, daß die Sprechstundenhilfe mit dem jetzt schwerer wirkenden Karton hereingeeilt kam. Das Kind nahm den Pappkarton wortlos entgegen, drehte sich in seinem gelben Regenmantel um und ging zur Tür hinaus, die ihr Melrose aufhielt.
    Von einem dunkelgrauen Himmel regnete es Bindfäden, doch die Kleine platschte ungerührt durch die Pfützen auf der Straße davon.
    Natürlich hätte Melrose sie nach Hause gefahren. Wie konnte man nur ein Kind allein auf solch einen furchtbaren Botengang schicken?
    Aber er bot sich nicht an; irgendwie schien sie zu wissen, wie sie gehen wollte und wohin und daß sie mit ihrer schrecklichen Bürde allein sein mußte. Zwei Bürden, dachte er, als er auf der Schwelle stand und naß wurde: ihrer Wut und ihrer toten Katze namens Buster.
    Jury ging die Auffahrt zu seinem Auto zurück und freute sich schon auf ein heißes Bad, ein gutes Essen und eine hübsche Kellnerin im »Großen Schweigen«, da sah er sie.
    Wer anders als Nell Healey konnte es sein, dahinten, am Ende eines sich durch die Bäume schlängelnden Pfades? Zumindest hatte er eine Frau gesehen, die dort spazierenging.
    Jury schlug den Fußweg ein, der sich durch Kiefern und Ulmen mit spindeldürren Zweigen wand. In der einfallenden Abenddämmerung wirkte das Gehölz noch bedrückender als am Nachmittag.
    Trostlos , schoß es ihm durch den Kopf. Galläpfel rankten sich um Baumstämme und Äste; dürre Birkenskelette zeichneten sich vor dem grauen Himmel ab. Jury blickte sich um und sah das Torhaus, ein dunkler Klotz mit Fensterschlitzen, durch die kein Licht mehr fallen würde. In seiner Blindheit wirkte es beinahe bösartig. Hochragende, spitzige Reste von Wegwarte und Flohkraut säumten den Pfad; zwischen Wurzeln und Baumstümpfen lagen klatschnasse, zusammengeklumpte Blätter; Moos wucherte über schlüpfrige, flechtenbedeckte Steine.
    Ob Orte wie dieser ansteckend waren? Konnten sie aufs Gemüt schlagen, einem den Mut rauben? Warum lebte jemand aus freien Stücken so wie sie, in einem derart kalten Gemäuer und in solch einer kargen Landschaft, die zweifellos auch im Frühling nicht viel erhebender war?
    Sie stand neben einer Ulme und sah den Weg hinab, wo ein nutzloses Tor schief in den Angeln hing. Nutzlos, weil die steinerne Mauer zu beiden Seiten fast nicht mehr vorhanden

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