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Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor

Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor

Titel: Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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war.
    »Mrs. Healey?«
    Sie wandte ihm zwar den Rücken zu, doch sie mußte ihn auf dem Schotter und den heruntergefallenen Zweigen kommen gehört haben. Keine Reaktion. Sie schwieg sich aus, und er vermutete, daß sie den Blick nach innen gerichtet hatte, daß sie Wald, Weg, Tor - die ganze Landschaft - überhaupt nicht wahrnahm.
    Bevor er jedoch ihren Namen wiederholen konnte, schwankte sie leicht und drehte sich zu ihm um. »Oh, hallo.« Sie tat nicht so, als erinnerte sie sich nicht an ihn oder als wüßte sie nicht, was ihn hierhergeführt hatte.
    Wider alle Vernunft hielt sie eine Handvoll Blätter, die vom Herbst übriggeblieben waren, wie einen kleinen Strauß in der Hand, so als hätte sie ein paar Winterblumen pflücken wollen und nichts Besseres gefunden. Der Schimmer ihrer Haut wetteiferte mit dem matten Glanz ihrer Haare. Zunächst dachte er, sie wirke blasser, weil sie weder Rouge noch Lidschatten aufgetragen hatte; dann ging ihm auf, daß ihre Blässe, die er im »Großen Schweigen« als krankhaft eingestuft hatte, Natur war. Ihr Teint war so durchsichtig wie der eines Kindes; ihr Haar war nicht aschblond, sondern wies hier und da helle und rötliche Strähnchen auf; es veränderte sich, wie auch die Farbe ihrer Augen. Obwohl sie ihm nur einen flüchtigen Blick gönnte - frostiges Licht auf frostigem Wasser -, sah er in der Iris Farbtupfer eingefroren, farbig wie die Blätter, die sie in der Hand hielt: goldene, grüne und braune Sprenkel, silbrig überhaucht. Selbst für ihre Kleidung hatte sie dieselben Farben gewählt - einen dunkelgrünen Pullover über einer goldfarbenen Seidenbluse, braune Hosen. Irgendwie war es ihr gelungen, die restlichen Farben des Herbstes aufzusaugen.
    Nachdem sie erst den Pfad, dann ihn, dann das schiefe Tor gemustert hatte, sagte sie: »Ich wollte Ihnen nicht aus dem Weg gehen -« Sie schwieg und stieß einen langen Seufzer aus.
    »Mir aus dem Weg gehen?« Jury lachte ein wenig. »Falls Sie mir wirklich ausweichen wollten, würde ich ungern mit Ihnen zusammentreffen.« Er folgte ihrem Blick. »Haben Sie auf jemanden gewartet?«
    Das trug ihm ein Aufflackern echten Interesses ein. »Gewartet?« Ein schmales Lächeln. »Nein.«
    Entweder erweckte sie nur den Eindruck, als läge ihr ständig etwas auf der Zunge, oder er war schon so daran gewöhnt, daß jedermann ungeniert über sich plauderte, daß ihm mulmig zumute wurde, weil sie sich ausschwieg. »Sie haben sich so - auf die Aussicht konzentriert«, setzte er lahm hinzu.
    Ihr Lächeln war jetzt sehr schmal. »Ich habe keine«, sagte sie zweideutig und fast zusammenhangslos. »Ein nutzloses Tor, nicht wahr? Unser Haus dürfte im Mittelalter ringsum eine Mauer gehabt haben. Etwas, das caire-voie genannt wurde ...«
    Er trat ein wenig näher, doch sie wirkte immer noch eigenartig achtlos und gleichzeitig achtsam, was seine Gegenwart betraf.
    »Mrs. Healey-«
    »Nell.« Ihr Lächeln wirkte beinahe überzeugend. »Wir kennen uns, finde ich, gut genug, daß Sie mich mit Vornamen anreden können.« Und wieder wandte sie den Blick von ihm ab, ließ ihn zu den Ulmen und Birken ringsum wandern. »Ich frage mich, warum Sie wieder hier sind.«
    Eine Feststellung, weiter nichts; Jurys Gründe schienen sie eigentlich nicht zu interessieren. Er hatte das Gefühl, daß für sie alles abgetan war, vorbei. Da schwang kein Ton von Feindseligkeit mit, aber auch keine Hoffnung. Sie war tief in Gedanken, aber es war nicht ihre Umgebung, die sie so in Bann schlug, und er war es auch nicht. Anscheinend war es ihr einerlei, was er antwortete.
    »Der Grund, weswegen ich >wieder hier bin<, wie Sie es ausdrücken - nun, ich hatte gehofft, Sie würden mir sagen, warum Sie Ihren Mann umgebracht haben.«
    Irgendwo plumpste ein Tannenzapfen sacht zu Boden. Sie hatte ihm das Profil zugewandt, die Arme vor der Brust verschränkt, ihre Hände lagen in der Ellbogenbeuge.
    Diese starre Haltung und ihre Weigerung zu reden wirkten auf Jury nicht verstockt. Sie mauerte nicht. Nein, sie öffnete den Mund, als wollte sie antworten, schloß ihn aber wieder.
    »Ihr Vater meint, es könnte nur Rache gewesen sein.«
    Nach einem Weilchen sagte sie: »Tatsächlich?« und zog den Pullover fester um sich. Doch zwischen den Silben brach ihre Stimme.
    Spürte sie, daß sie nicht raffiniert, nicht glaubwürdig genug lügen konnte?
    »Aber das kann Sie doch nicht überraschen; auf dieser Linie dürften Ihre Anwälte argumentieren - das und zeitweilige

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