Grimes, Martha - Inspektor Jury gerät unter Verdacht
sich diesen Ort selbst ausgesucht hatte, ließ er sich nicht abspeisen. Außerdem war sein Zuhause so nah, daß er (sagte er) seine Verwandten häufig besuchen würde.
Dann hatte er sich in die in der Broschüre abgebildete Bibliothek mit der hohen Decke und den Seidenvorhängen gerollt, wo ein altes Mädchen in einem hübschen Tweedkostüm mit der Bibel in der Hand einer imaginären Zuhörerschaft predigte. Kümmern Sie sich nicht um Miss Smithson, hatte Mrs. Colin-Jackson ihm gesagt, ihre Familie wird sie bald abholen. Ein solches Ärgernis können wir in Castle Howe wirklich nicht dulden.
Und so geschah es, daß Adam Holdsworth in die De-Quincey-Suite einzog.
Mami ist so unabhängig; ich weiß, sie könnte die Einschränkungen in einem Pflegeheim nicht ertragen.
Nun lebte er schon seit zwei Jahren hier und war doch immer wieder erstaunt, wie vorhersagbar das Szenario war. Er genoß es, sein nicht bewegungsfähiges Ich äußerst sichtbar zu präsentieren, wenn er wußte, daß ein »Gespräch« bevorstand, denn es trieb Mrs. Colin-Jackson jedesmal zur Verzweiflung. Zähneknirschend wies sie darauf hin, daß »unser Mr. Holdsworth in seinem Rollstuhl schneller ist als jeder Marathonläufer«, und brach dann in schallendes Gelächter aus.
Mehrfach hatte sie Adam schon gebeten, gefälligst zu verschwinden (ganz so deutlich hatte sie sich nicht ausgedrückt), wenn sie mit Kandidaten sprach. Das tat er natürlich nicht; seine Zipfelmütze auf dem Kopf und ohne Gebiß setzte er sich immer in die breite Tür des Southey-Zimmers, wenn in dem üppig möblierten Raum irgendwelchen Einfaltspinseln für die Unterbringung von Mama zweitausend im Monat aus der Tasche gezogen wurden.
Zu hören, daß »Mama« oder »Papa« oder »Tantchen« ihre Unabhängigkeit einfach brauchten , und dann zu sehen, wie die zerbrechlichen Altchen praktisch auf Bahren hineingetragen wurden, rechtfertigte das Kleingedruckte in Mrs. Colin-Jacksons Verträgen. Wenn sie dann aber erst einmal in Castle Howe wohnten, rappelten sie sich wunderbar auf, schmissen mit Müsli und lieferten sich in dem luxuriösen Ambiente des Wintergartens Spazierstockduelle.
Und dann gab es noch die in der Broschüre immer wieder überschwenglich hervorgehobene Freiheit, sich auf dem Gelände uneingeschränkt zu bewegen. Jeder durfte jederzeit weggehen. Von Mrs. Colin-Jackson aus hatte angesichts der Kaution von zweitausend Pfund und einer langen Warteliste jeder Gast sogar die Freiheit, von den Wällen oder in den Teich zu fallen.
Gesellschaftlich wurde es bald sogar eine Sache des Prestiges, einen schrägen alten Verwandten in Castle Howe zu haben. (Tante Florence? Oh, ja, nach dieser hektischen Kreuzfahrt um die Welt hatte sie das Gefühl, sich unbedingt ein bißchen Ruhe gönnen zu müssen, und war völlig versessen auf die Möglichkeit, in Castle Howe zu leben; wenn in Wahrheit - und da war Castle Howe schon eine Entlastung -Tante Flo auf ihrer »Kreuzfahrt« nicht weiter gekommen war als bis zu dem Teich in ihrem Garten, wo sie jedem, der das Unglück hatte, draußen vorbeizugehen, obszöne Sprüche hinterherkeifte.)
Also war Adam eingezogen, um forthin eine Reihe von »Ärgernissen« in vollen Zügen zu genießen - zum Beispiel den seit langem anhaltenden hitzigen Streit zwischen den Dunsters oder auch mit Colin-Jacksons Helfershelferin, Miss Makings, die neben dem Eingang saß und schier unendliche Mengen schwarzer Wolle verstrickte. Alles, was passierte, schrieb Adam mit einem Mont-Blanc-Füllfederhalter sorgsam in ein kleines ledergebundenes Notizbuch, wobei die Hand ein wenig zitterte, wie ein Automotor im Leerlauf. Er konnte immer noch schreiben, wenn er auch manchmal fand, das Resultat sehe eher so aus wie der Ausdruck eines EKG-Geräts.
Mit seinem elektrischen Rollstuhl raste er, wenn es zu langweilig wurde, auf dem Anwesen umher und testete, wie viele Bewohner er zu Fall oder wie viele Autos er zu einem kreischenden Halt bringen konnte. Der Rollstuhl hatte beinahe so viele Gänge wie ein Auto. Ab und zu rief er im Tarn House an und bat Millie, zu kommen und ihn draußen spazierenzufahren. Er hatte Millie gerne um sich. Sie und ihr Kater waren die einzigen im Haus, denen er vertraute.
Wenn er im Tarn House war, verbrachte er seine Zeit meist in der warmen, behaglichen, köstlich duftenden Küche, wo er willkommen war, man ihn aber keineswegs hofierte. Bei diesen Besuchen bestand er häufig darauf, mit dem Kater Hexer einen Starrwettbewerb zu
Weitere Kostenlose Bücher